Erfttal — die Neusser AfD-Hochburg

In dem Stadtteil mit einem hohen Ausländeranteil erhielt die Partei 17,9 Prozent aller Zweitstimmen. Eine Suche nach Gründen.

Foto: Brefort

Neuss. Es passiert nicht oft, dass Erfttal im Rampenlicht steht. Aufgrund seiner gesellschaftlichen Strukturen eignet sich der Neusser Stadtbezirk 10 nicht dafür, um mit ihm Stadtmarketing zu betreiben. Für viele Menschen dort ist das Leben an der Armutsgrenze Alltag. Die meisten Gebäude überzeugen lediglich durch Funktionalität. Wenn über Erfttal gesprochen wird, ist die Bezeichnung „sozialer Brennpunkt“ nicht weit. Die Ergebnisse der Bundestagswahl rücken Erfttal dann aber doch in den Fokus.

17,9 Prozent aller abgegebenen Zweitstimmen galten der AfD. In keinem Bezirk der Stadt erhielt die „Alternative für Deutschland“ mehr Stimmen. Doch warum ausgerechnet in Erfttal? Hakt gerade in einem Stadtteil mit 27,4 Prozent Ausländeranteil (hinzu kommt eine hohe Anzahl von Deutschen mit ausländischen Wurzeln) die Integration? Zum Vergleich: Der Ausländeranteil in Neuss beträgt durchschnittlich 15,1 Prozent. Warum wählen die Erfttaler eine Partei, die „Grenzen dicht machen“ will, die auf Wahlplakaten fordert, sich das eigene Land „zurückzuholen“?

Kaum einer kennt die Strukturen, Ängste und Probleme der Menschen dort so gut wie Paul Petersen. Seit 20 Jahren ist der Leiter des Bürgerhauses Erfttal — eine Einrichtung des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) — in dem Viertel aktiv. „Die Zahl der Erwerbslosen ist sehr hoch. Dadurch gibt es viel Frustration“, sagt der 52-Jährige.

Und jene Frustration würde möglicherweise den großen Volksparteien zugeschrieben. „Diese Wahl soll vermutlich ein Denkzettel sein“, sagt Petersen. „Vielleicht hat auch der hohe Anteil an Migranten bei dem einen oder anderen Ur-Deutschen dazu geführt, dass er sich hier in seinem Heimatstadtteil nicht mehr wirklich zuhause und ausreichend beachtet fühlt“, sagt Petersen, der betont, dass es gerade in den zahlreichen Hochhäusern regelmäßig zu Auseinandersetzungen unter den Bewohnern kommt. „Gleichzeitig herrscht dort aber auch ein enges Miteinander von Ausländern und Deutschen“, sagt der Leiter des Bürgerhauses.

Erfttal ist in Neuss sozusagen Vorreiter in Sachen Integration. So war es der erste Stadtteil, in dem Gemeinwesenarbeit installiert wurde. Laut Heinz Sahnen, CDU-Stadtverordneter für Erfttal, geschah dies bereits 1972. Schon zu diesem Zeitpunkt gab es dort ähnliche Probleme wie heute.

Sahnen sieht Erfttal als Spiegelbild eines bundesweiten Trends. „Die AfD hat die meisten Stimmen in sozialen Brennpunkten mit einem hohen Migrantenanteil bekommen — vor allem in Bezirken mit niedriger Wahlbeteiligung“, sagt der 70-Jährige. Ein Blick auf die Zahlen stützt ihn: Erfttal liegt mit einer Wahlbeteiligung von 57,7 Prozent auf dem stadtweit vorletzten Platz. Neuss kommt insgesamt auf eine Wahlbeteiligung von 73,4 Prozent.

Die Wahlergebnisse in einem Stadtteil wie Erfttal sind auch für den AfD-Direktkandidaten Dirk Kranefuß keine Überraschung. „Die Bevölkerung, die nur durchschnittlich oder unterdurchschnittlich verdient, fühlt sich von der Regierungspolitik abgehängt“, sagt der 72-Jährige, der vermutet, dass auch Protestwähler darunter sind.

Heinrich Thiel, SPD-Stadtverordneter auf der Neusserfurth, richtet den Blick nach vorne. „Wir dürfen nicht wegschauen, wenn die AfD sich so entwickelt. Nun ist es unheimlich wichtig, dass wir die Ärmel hochkrempeln und zeigen, dass wir die Stadt gut gestalten können.“

Und auch Sahnen kündigt Konsequenzen an: „Wir müssen uns an die eigene Nase fasse. Ich bin aber noch nicht in der Lage, zu sagen, was genau falsch gelaufen ist“, sagt der CDU-Politiker.