Fernöstlicher Hamlet wie eine antike Tragödie
Globe-Theater: Koreanisches Ensemble zeigt den vierten „Hamlet“ des diesjährigen Shakespeare-Festivals an der Rennbahn.
Neuss. Im Hintergrund eine bühnenhohe Bildertafel mit den Porträts koreanischer Herrscherdynastien und an der Rampe ein rituelles Teetischchen; Räucherstäbchen verbreiten ihren Duft — und ein junger Mann im weißen Trainingsanzug einer bekannten Nobelmarke schaut sinnend in endlose Fernen: Jung-Yong Jeon, der Titelheld des Abends, spricht, wie aus der englischen Übertitelung zu erfahren, an ungewohnter Stelle “Sein oder Nicht-Sein„ — und der Hamlet from the East, den das Shakespeare Festivals als vierte und letzte Deutung des tragischen Träumers versprach, nimmt ihren Lauf.
Eingebettet in koreanische Schamanenrituale präsentiert die Yohangza Theatre Company (Korea) unter der Regie von Jun-Ung Yang einen Hamlet, der weit über die nationale Tradition hinausgeht.
Das war eine Theatervorstellung, in der die Tragödie ausgespielt wurde mit allem, was nötig war. Farbenprächtige Tücher, herrliche Kostüme, grell geschminkte Gesichter, wenn die Schauspieler ihr Stück von der Ermordung Gonzagas zu einem eigenen Kunstwerk erheben: Pantomimen agieren zu Dialogen, die von der Seite eingesprochen werden.
Und nichts ist Show. Der Wahnsinn Hamlets entwickelt sich methodisch bis zu dem Punkt, wo er Mutter-Tante und Onkel-Vater als gackerndes Huhn empfängt; die zierliche Ophelia stürzt seiner Umnachtung hinterdrein; des Brudermörders Verzweiflung ist förmlich zu greifen. Und das Entsetzen des Titelhelden, mit der Sichel den Falschen, nämlich Polonius, niedergemäht zu haben, ist restlos packend.
Und auch das ist Shakespeares Welttheater par excellence: die perfekt postierte „komische Entspannung” bis hin zum Totengräber, der im richtigen Moment aus seinem Eimerchen Knochen und einen Schädel schüttet, derweil er ein „Halleluja, Amen” singt. Schließlich kommt es zur letzten Katastrophe. Das Duell zwischen Laertes und Hamlet, hier mit Fächern ausgetragen, die völlige Vernichtung aller, Horatio — wie alle Beteiligten ein vorzüglicher Akteur — allein bleibt übrig, weil ihn sein Freund darum bittet. Dumpfe Trommeln, ein letztes Ritual, riesiger Applaus und eine seltsam befreiende Nachwirkung: Sollte am Ende gar diese Aufführung wie jene Katharsis gewirkt haben, von der die Alten wussten? Wäre das etwa antikes Theater gewesen? Phänomenal war’s in jedem Falle.