Neusser Ortsgruppe berät Studierende aus Nichtakademikerhaushalten Als „Arbeiterkind“ an die Hochschule

Neuss · Studierende, deren Eltern keine Akademiker sind, haben an der Universität oft mit eigenen Herausforderungen zu kämpfen. Die Neusser Ortsgruppe „Arbeiterkind“ bietet Unterstützung und will Mut machen.

Patricia Schmidt ist Mitglied in der Neusser Ortsgruppe der bundesweiten Organisation „Arbeiterkind“.

Foto: Andreas Woitschützke

Etwas war anders. Was genau, das wusste Patricia Schmidt anfangs nicht. Doch in ihrer ersten Zeit an der Hochschule wurde sie häufig von einem diffusen Gefühl begleitet: „Ich hatte immer den Eindruck, dass ich hinterherhinke“, erinnert sich die in Neuss lebende Frau. Dann wurde sie im Laufe ihres Studiums auf „Arbeiterkind“ aufmerksam, eine gemeinnützige Organisation, die sich speziell an Studierende richtet, deren Eltern keine Akademiker sind.

Schon vor 15 Jahren wurde die Gruppe von Katja Urbatsch in Berlin gegründet – auch Urbatsch ist ein „Arbeiterkind“ und hat 2008 ein Internetportal „für alle, die als Erste in ihrer Familie studieren“ ins Leben gerufen. Seitdem ist die Organisation gewachsen: Die Projekte werden von Ministerien und Stiftungen gefördert und haben bereits einige Auszeichnungen erhalten. Bundesweit setzen sich rund 6000 Ehrenamtliche für die Studierenden ein, es gibt 80 lokale Gruppen – eine davon kommt regelmäßig in Neuss zusammen.

Von 100 Akademikerkindern nehmen 79 ein Studium auf

„Arbeiterkind“ möchte für mehr Chancengleichheit sorgen – denn laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) nehmen von 100 Akademikerkindern 79 ein Studium auf. Von den Nicht-Akademikerkindern sind es gerade einmal 27, die diesen Weg einschlagen. „Das hat verschiedene Gründe“, sagt Patricia Schmidt, die mittlerweile selbst Mentorin in der Neusser Ortsgruppe ist und zum Beispiel die Oberstufenbesuche koordiniert. Die Zeit der Unibewerbungen ist auch für die Ortsgruppe eine heiße Phase, dann gehen sie raus in die Schulen oder bieten Beratungen bei ihrem offenen Treff an jedem letzten Dienstag im Monat an.

„Viele Fragen drehen sich dabei um die Finanzierung“, erzählt sie, „wir informieren die Studierenden über Fördermöglichkeiten, über Bafög und Stipendien, aber auch über Nebenjobs.“ Einigen sei beispielsweise gar nicht bewusst, dass es auch an der Universität einige Jobangebote gibt, fügt Mentorin Sandra Block, hinzu. Andere hätten die Sorge, dass ein Studium vielleicht zu schwierig sein könnte, sie haben oft konkrete Fragen zu den einzelnen Fächern und bei wieder anderen sei es gar nicht so leicht, die Eltern von einem Studium zu überzeugen – erst recht, wenn es sich dabei um ein Fach handelt, dass nicht an einen klassischen Beruf gebunden ist, wie es etwa bei den Geisteswissenschaften der Fall ist.

„Uns geht es überhaupt nicht darum, dass „alle“ studieren, sondern nur darum, dass über beide Seiten gut informiert wurde, so dass man sich am Ende für eine Lehre oder ein Studium entscheiden kann“, betont Sandra Block. „Wir sind dabei keine klassische Beratungsstelle. Häufig sind wir einfach für diejenigen da, die ihre Eltern nicht fragen können: ,Wie war das bei dir damals?“. Dafür teilen die Mentoren auch ihre eigene Geschichte, berichten von ihren Erfahrungen und machen Mut. Es sei wie das Türöffnen zu einer fremden Welt.

Dazu möchte auch Peter Hüsgen, der sich ebenfalls in der Neusser Arbeiterkind-Gruppe engagiert, beitragen. Er kommt aus einer Arbeiterfamilie und hat 1976 sein Abitur gemacht. Das sei auch seinem Grundschullehrer zu verdanken, der schon damals das Potenzial in ihm gesehen hat.

Peter Hüsgen erinnert sich besonders an einen Ausflug in den Neusser Botanischen Garten. „Dort waren viele Pflanzennamen zu lesen, die ich damals nicht verstanden habe“, erzählt er. Und da er immer schon neugierig war, sei das der Anstoß gewesen, Latein lernen zu wollen. Mittlerweile hat Hüsgen nicht nur promoviert, er ist auch Psychotherapeut. „Ich hatte Glück und möchte das an andere weitergeben.“

Ähnlich geht es auch Sandra Block: „Erst bei Arbeiterkind habe ich angefangen über meine eigene Laufbahn zu reflektieren und dass da Herausforderungen waren, die andere vielleicht nicht so hatten. „Für mich war es normal, während des Studiums mehrere Nebenjobs zu haben.“

Patricia Schmidt, die von der Ratsuchenden zur Ratgebenden wurde, hatte ein ähnliches Schlüsselerlebnis. Zum Nachdenken brachte sie ein Soziologiekurs, in dem das Thema Habitus und Herkunft angesprochen wurde. „Es ging darin auch darum, wie sich das Milieu auf die Laufbahn auswirkt“, sagt sie, „dann sind mir manche Unterschiede erst einmal bewusstgeworden.“ Während in einigen akademisch geprägten Familien beispielsweise wie selbstverständlich über Herder, Humboldt oder wissenschaftliche Theorien gesprochen wurde, fehlt anderen dieser Wissensvorsprung.