Neuss nutzt Insekten und Pilze als Nahrungsquelle der Zukunft Lebensmittelrevolution aus Neuss?
Neuss. · Bürgermeisterkandidat Jan-Philipp Büchler hat eine Vision: Neuss soll Vorreiter bei der Gewinnung von Proteinen aus Insekten, Algen oder Soja werden. Das könnte den Lebensmittelmarkt komplett umkrempeln.
„Food City“ war in der Vergangenheit nach Überzeugung von Jan-Philipp Büchler vor allem ein Marketing-Begriff und kein Lebensmittelcluster von aufeinander bezogenen Unternehmen auch unterschiedlicher Branchen. Das will der CDU-Bürgermeisterkandidat ändern. Und zwar mit Blick auf die Bedürfnisse und vor allem den Hunger einer weiter wachsenden Weltbevölkerung. Seine Idee: Neuss wird Vorreiter bei der Gewinnung von Proteinen (Eiweiß) aus Insekten. Aber auch aus Pilzen, Algen und Soja. „Die Neusser müssen das nicht selber essen“, sagt Büchler. Aber es gebe für diese Ernährungsalternative einen Markt – und in Neuss viel Know-how, diesen zu bedienen.
Erste Vorschusslorbeeren verteilt Jürgen Steinmetz. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein nennt Büchlers Ansatz von einem „Innovationscluster Alternative Proteine (ICAP)“ interessant und geeignet, um das Thema in der Stadt zu befördern. Und Steinmetz ist überzeugt: „Die Idee hat die Chance, im Zuge des Strukturwandels im Rheinischen Revier Berücksichtigung zu finden.“
Büchler selbst arbeitet an der Idee nach eigener Darstellung seit Oktober. Für ihn wäre die Weiterverfolgung des Gedankens „Wirtschaftsförderung – nach vorne gedacht“. Die Neusser Unternehmer, mit denen er über die Clusterbildung schon gesprochen hat, waren so interessiert, dass Unternehmensvertreter, IHK und Kreis zeitnah zusammenkommen wollen. Ein Thema dabei: Welche Förderprogramme können greifen, um Neuss zur Food-City der Zukunft zu machen? Die Aussichten nennt Büchler gut. Das Bundeswirtschaftsministerium fördere etliche Cluster, allerdings nur zwei in Nordrhein-Westfalen. Und keiner davon beschäftigt sich mit Lebensmitteltechnologien.
Büchler stellt seine Idee
im Gymnasium Norf vor
Einen Test, wie Außenstehende auf den Vorschlag einer Protein-Extraktion aus Insekten reagieren, startet Büchler am Donnerstag (30.) in seiner alten Schule. Als Gast beim Naturwissenschaftlichen Kolloquim des Gymnasium Norf spricht er ab 17.30 Uhr zu Schülern aber auch anderen Interessierten, die den Weg ins PZ der Schule suchen, über „Zukunft der Nahrungs- und Futtermittelindustrie“ in Neuss. „Das Thema läuft Gefahr, zerredet zu werden“, sagt Büchler. „Schon über das Ekelgefühl.“ Aber das wäre wenig zukunftsweisend, denn in den Niederlanden werde genau dieses Thema bereits gepusht. „In nur fünf Unternehmen wurden dort 100 Unternehmen zu alternativen Proteinen aufgebaut.“
Neuss ist heute schon strategisch wichtige Lebensmittelstandort
Auch dort folgt man der Erkenntnis der Welternährungskommission, dass die Menschheit nur überlebt, wenn sie ihre Nahrung klimafreundlich und mit effektivem Ressourceneinsatz entwickelt. Heißt: Weniger Energie-, Wasser- und Flächenverbrauch und weniger Futterstoffe bei gleichem Nährwert. Da schlagen Heuschrecke und Soldatenfliege das Rind im direkten Vergleich um Längen.
Neuss, mit seinen Mühlen für Getreide und Öl, der Tierfutterproduktion im Hafen aber auch dem Maschinenbausektor sei schon jetzt ein, so Büchler, strategisch wichtiger Lebensmittelstandort. Da will er anknüpfen: „Neuss stark machen, wo es schon stark ist“, sagt er, will aber auch Unternehmen in der Region einbinden, wenn nicht sogar nach Neuss holen. Ganz oben auf dieser Liste: „Swarm Protein“ aus Köln, ein Start-up in dieser Branche, der schon mit dem in Neuss beheimateten Aroma-Produzenten Silesia zusammenarbeitet.
Fahrt kann das Thema aufnehmen, wenn es wissenschaftlich unterfüttert wird. „Wir brauche dafür ein Technologiezentrum, das den Namen verdient“, sagt Büchler. Dort müsste der Fokus auf Anwendungsfelder gelegt und zum Beispiel Verarbeitungsverfahren analysiert und verbessert werden. Unerlässlich ist für ihn auch, dass eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung wie das Fraunhofer-Institut in den Cluster eingebunden wird. Das könne nicht nur einen Beitrag zur Grundlagenforschung liefern – Stichwort: Optimierung der Aufzuchtverfahren von Insekten –, sondern kann durch internationale Kontakte auch helfen, Know-how einzubinden oder am Ende Fördermittel einzuwerben. Wenn es zum Beispiel darum geht, Testanlagen zu bauen.
Kommt es so, wie von Büchler erhofft, wird am Ende eine geschlossene Wertschöpfungskette in und um Neuss angesiedelt sein – inklusive Rezeptentwicklung. Er selbst habe schon Heuschrecke probiert, sagt Büchler. „Schmeckte irgendwie nussig.“