Neuss rechnet mit einem Rekorddefizit in Höhe von 77 Millionen Euro
Der Kämmerer hat den Etatentwurf vorgestellt. Der „Steuerschatz“ ist darin aber noch nicht berücksichtigt. Sparen ist dennoch angesagt.
Neuss. Zig Millionen auf dem Konto, aber ein Rekorddefizit in Größenordnung von derzeit 77,3 Millionen Euro im Haushaltsplan: Eine solche Situation hat Kämmerer Frank Gensler, der am Freitag dem Rat den Etatentwurf für 2018 vorgestellt hat, in 22 Jahren als Berufsbeamter noch nicht erlebt. Zu erklären ist diese einmalige Situation mit einem einmaligen Ereignis: Dem „Steuerschatz“ in Höhe von 152 Millionen, der der Stadt im März in Form einer völlig unerwarteten Gewerbesteuerzahlung zufiel.
Das Geld ist da, verursacht auch schon „Kosten“ in Form etwa einer um 42 auf nun einmalig 133,5 Millionen Euro erhöhten Kreisumlage, kann aber offiziell in den Etat noch nicht eingepreist werden, so lange das Finanzamt die Steuerschuld nicht endgültig beziffert hat. Dieser Prozess zieht sich hin. Bürgermeister Reiner Breuer geht allerdings inzwischen vom günstigsten Fall aus: „Das Geld bleibt bei uns.“
Wie ein solider Kaufmann will er den erhofften und erwarteten Nettoertrag in Höhe von 74 bis 75 Millionen Euro in die allgemeine Ausgleichsrücklage stecken. Mit dieser, so wörtlich, „Ausgleichsreserve“ im Rücken verspricht Breuer für die kommenden Jahre ausgeglichene Jahresbilanzen — wenn auch der Rat kaufmännisch denkt.
Der Steuerschatz verschafft der Stadt unerwartete finanzpolitische Spielräume. Von der Pflicht, den Haushalt strukturell zu stabilisieren, entbindet er Rat und Verwaltung nicht. Deshalb wurde mit dem Etatentwurf auch ein Paket mit möglichen Konsolidierungspotenzialen vorgestellt, die seit dem Frühjahr in einer eigenen Arbeitsgruppe herausgefiltert worden waren. Um zehn Millionen Euro jährlich müsste die Ausgabenseite abgesenkt werden. Das war die Aufgabenstellung. Diesen Wert würden die Vorschläge der Stadt wenn nicht im nächsten, so doch im übernächsten Jahr erreichen.
Doch von den 170 Anregungen aus der Verwaltung — bei null Sparvorschlägen aus der Politik — blieben unter dem Strich 2,4 Millionen Euro Einsparpotenzial über. Die Haushaltsberatungen werden zeigen, ob dieser Ansatz auch erreicht wird. Breuer hofft allerdings auf den Mut der Politik, auch Entscheidungen zu treffen, „die ein bisschen wehtun“.
Die Verwaltung geht da mit gutem Beispiel voran. Durch Ämterzusammenlegung und andere personalwirksame Maßnahmen wird 2018 rund eine Million eingespart. Die Entscheidung, sich bei der Expo Real in München kommende Woche dem Stand Niederrhein anzuschließen, spart wiederum 50 000 Euro. Breuer nennt dies ein Beispiel aus der Kategorie „Kleinvieh macht auch Mist“. Anregungen zur interkommunalen Zusammenarbeit oder die Abgabe der letzten städtischen Förderschule stehen auf der Liste, aber auch Blumenschmuck, die Überprüfung von Spielplätzen auf ihre Notwendigkeit oder die Reduzierung der Ausschusszahl und der Sitzungen. Allein in diesem Punkt stecke ein Potenzial in Höhe eines sechsstelligen Betrages, sagt Breuer.
Der Bürgermeister will aber auch die Einnahmen in den Blick nehmen. „Sind unsere Gebühren noch adäquat?“, fragte er. Man ahnt die Antwort.
Sparpolitik schließt Investitionen nicht aus. So werden 2018 acht neue Kitas errichtet, deren Zahl damit auf 100 steigt. 20 Millionen Euro werden in den Schulen verbaut. Und nicht zuletzt stimuliert der Verzicht auf die Dividende von Bauverein und Stadtwerken Investitionen in sozialen Wohnungsbau und E-Mobilität.
In den vergangenen Jahren erreichte der Etat ausnahmslos durch Einnahmen aus Grundstücksverkäufen die schwarze Null. Nennenswerte Grundstückserlöse erwartet Breuer auch in den kommenden Jahren. Weil Grundstücksverkäufe aber letztlich auch und vor allem ein Aufzehren städtischen Vermögens sind, will er diese Gelder in die Zukunft investieren — in etwas, was neue Werte schafft.
Die Politik steht allerdings erst einmal vor der Aufgabe, den Etat zu diskutieren. Den kennzeichnen auf der Ausgabenseite neben der enormen Kreisumlage auch eine Gewerbesteuerumlage in Höhe von 24,6 Millionen Euro und 10,7 Millionen für den „Kommunalsoli“. Das Geld glaubt Gensler am Ende aber doch nicht an das Land überweisen zu müssen.
Insgesamt addieren sich die Ausgaben auch aufgrund steigender Personal- und Sozialausgaben auf 551 Millionen Euro, bei 473 Millionen auf der Einnahmeseite — ohne den „Steuerschatz“.