Schwester Béatrice: „Ich habe ihnen vergeben“
Zwei Schwestern aus Afrika erholen sich im Kloster Immaculata.
Neuss. Langsam kommt Schwester Béatrice Nzinahora (42) über den Gang im Kloster Immaculata der Generaloberin Schwester Praxedes entgegen. Sie geht an Krücken, konzentriert, sieht auf und lächelt. „Bonjour, maman!“ Dass sie überhaupt wieder gehen kann, lächeln und sprechen, konnte vor vier Monaten niemand erwarten, am wenigsten sie selbst.
Burundi, 10. August, ein Mittwoch, sie kennt auch noch die Stunde: 17.45 Uhr. Schwester Béatrice sitzt mit Schwester Yolanda Ntibishimirwa (36), einem Pater und anderen Ordensschwestern in einem Kleinbus. Sie sind auf der Fahrt zurück in ihr Dorf Gihanga, wo die Schwestern ein Gesundheitszentrum führen. Dann stoppen Männer in Polizeiuniform ihren Wagen, getarnte Rebellen, wie Schwester Béatrice erzählt. Was folgt, ist furchtbar. „Was sie wollten? Ich weiß es doch nicht“, sagt die Schwester der Ordensgemeinschaft Bene-Umukoma. „Vielleicht wollten sie nur Aufmerksamkeit erregen.“
Die Männer schießen gezielt auf Yolanda und sie. „Sie sind tot, was soll’s. Die anderen sollen fortlaufen“, rufen die Täter den übrigen Businsassen zu. Die laufen fort, doch die beiden Schwestern leben noch. „Ich habe gedacht, wir sterben. Aber ich hatte keine Angst, grâce à dieu“, sagt Béatrice. Das halbe Gesicht von Schwester Yolanda habe offengelegen, erinnert sie sich, ein Auge zerstört, der Kiefer zum Großteil weggeschossen. Sie selbst wird auch im Kopf getroffen, im Bein, das zerfetzt wird, und an weiteren Stellen. Sie bleibt bei Bewusstsein und hört, dass die Männer den Bus zerstören wollen. Da schleppt sie sich auf dem Rücken zur Tür, zieht Yolanda am Kragen mit und lässt sich auf die Straße fallen. Die Rebellen schießen in den Tank und verschwinden.
Blutüberströmt bleiben die Frauen liegen. „Nous sommes encore en vie“, sagt Yolanda, sie leben noch, sie kann es nicht glauben. Ein Mann in Uniform kommt des Wegs, stößt die Frauen mit dem Fuß an. Béatrice kann ihn dazu bewegen, ihr Bein abzubinden, dann ist er fort. Schließlich kommt Militär und fährt die Frauen in ein Hospital. Doch die Ärzte können kaum helfen.
Kurz darauf erreicht die Nachricht von dem Überfall per Fax das Kloster Immaculata in Neuss. Die Verbindungen der burundischen Gesundheitsstation zum früheren Mutterhaus sind immer noch eng. Können die Neusser Schwestern helfen? Béatrice und Yolanda haben sonst keine Überlebenschance. Im Etienne-Krankenhaus bereitet man sich vor. Es folgen Tage, die erfüllt sind von Betriebsamkeit und quälendem Warten. Papiere, Atteste, fehlende Flugmöglichkeiten — schließlich, nach Einschalten des Vatikans von Burundi aus, ist der riskante Flug gesichert. Bis heute weiß Schwester Praxedes nicht, wer für die etwa 80 000 Euro Kosten aufgekommen ist.
Seitdem waren die beiden Gäste aus Afrika die meiste Zeit im Krankenhaus. Das Etienne hat an die Uniklinik Düsseldorf verwiesen, da werden die komplizierten, schweren Verletzungen behandelt.
Nach drei Monaten stationärem Aufenthalt lebt Béatrice nun im Kloster Immaculata, wie auch ihre Leidensgefährtin wenn sie nicht gerade wieder an der Uni-Klinik ist. Zehn Operationen liegen hinter ihr, etliches steht ihr noch bevor. Irgendwann möchten beide zurück.
Wenn Schwester Béatrice erzählt, treten ihr manchmal die Tränen in die Augen. Dennoch strahlt sie Festigkeit und Zuversicht aus. „On a perdonné“, sagt sie, wir haben vergeben. Gott habe es zugelassen, aber Gott sei auch bei ihr gewesen. Die Täter? Sie denke lieber an die, die ihr geholfen haben.
Mit Yolanda hat sie jetzt einen offenen Brief an die „lieben Freunde aus Neuss“ geschrieben. Die Schwestern danken für das „Mitleiden“ und die Unterstützung und wünschen joyeux noël: Frohe Weihnachten.