Zerbrechlich und fanatisch: Käthchen liebt nahe am Wahn
Katharina Filler gelingt eine überzeugende Inszenierung.
Neuss. Sie verlässt Hals über Kopf das Vaterhaus, um der einen, der vorbestimmten Liebe zu folgen. Rutscht auf den Knien vor dem Traum-Mann, folgt ihm wie ein Hund. Ist das Käthchen von Heilbronn nun eine wahrhaft Liebende oder eine verwirrte Stalkerin? Den Abgrund zwischen Gewissheit und Fanatismus lotet Katharina Fillers Kleist-Inszenierung aus, die am Freitag im RLT vor fast ausverkauftem Haus Premiere feierte. Ein frischer Kleist ist ihr gelungen, eine zeitgemäße Umsetzung des sperrigen Originals. Und vor allem ein Stück Emotionstheater.
Mit dem „Käthchen von Heilbronn“, 1808 geschrieben, hat Heinrich von Kleist ein schier unaufführbares Werk geschrieben. Unzählige Nebenfiguren wieseln durch den Text, die Handlung springt immer wieder von einem Schauplatz zum nächsten. Und doch ist das Stück zum Klassiker geworden.
Auch mit der Handlung tut sich der Zeitgeschmack schwer: Ein Traum offenbart der Schmied-Tochter Käthchen (Emilia Haag) und dem Grafen vom Strahl (Stefan Schleue), dass sie füreinander bestimmt sind. Doch während Käthchen explizit vom Grafen geträumt hat und ihm deshalb auf Schritt und Tritt folgt, weiß dieser nur, dass ihm die Ehe mit einer Kaisertochter bestimmt ist. Als ihm die intrigante Gräfin Kunigunde (Katharina Dalichau) weismacht, aus kaiserlichem Geschlecht zu stammen, wird die Hochzeit angesetzt. Doch schließlich erweist sich Käthchen tatsächlich als Kaisertochter, und das vorbestimmte Paar gibt sich das Jawort.
Für die Neusser Inszenierung hat Regisseurin Katharina Fillers die Handlung auf den Kern beschränkt. Bis auf die vier Hauptfiguren werden alle Rollen von einem Dreierteam (Georg Strohbach, Richard Erben und Henning Strübbe) übernommen. Wie ein Joker springt das Trio als Richter, Ritter und Gesinde ein, verkündet die Regieanweisung für die kommende Szene („Wald“) und überrascht mit gekonnten Akrobatik-Einlagen. Vor allem dieser Kunstgriff trägt zum Gelingen des Theaterabends bei. Die Inszenierung wahrt eine ironische Distanz gegenüber dem Klassiker, ohne in Klamauk abzudriften.
Schauspielerisch wird das Stück von den beiden Frauen getragen. Ebenso zerbrechlich und unterwürfig wie auch fanatisch ist Emilia Haags Käthchen, als Gegenpol hat Katharina Dalichau ihre verführerisch-berechnende Kunigunde angelegt.
Das RLT hat die Spielzeit unter das Motto „Glauben!“ gestellt, da fügt sich das „Käthchen“ nahtlos ein. Es geht um innere Überzeugung, konsequent gelebt bis zum Rande des Wahns. Kann das gutgehen? Das ist wohl eine Sache des Glaubens.
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