Analyse Schulöffnungen in Corona-Zeit - Welcher Weg ist der richtige?

Düsseldorf · Schulen und Kitas sollen schrittweise öffnen. Darin sind sich die meisten einig. Nur wie groß die Schritte sein sollen, darin unterscheiden sich die Meinungen der Eltern, Schüler, Lehrer, Politiker und Wissenschaftler immens.

Nicht alle Klassenzimmer verfügen über Waschbecken, wie in dieser norwegischen Grundschule. Auch auf Toiletten sind Papier und Seife oft Mangelware.

Foto: dpa/Heiko Junge

Schulen und Kitas sollen schrittweise öffnen. Darin sind sich die meisten einig. Nur wie groß die Schritte sein sollen, darin unterscheiden sich die Meinungen der Eltern, Schüler, Lehrer, Politiker und Wissenschaftler immens. Und mit jedem Tag, den die Kontaktbeschränkungen andauern und Kitas und Schulen geschlossen bleiben, werden die Diskussionen darum schärfer.

Die einen klagen, offene Schulen und Kitas seien eine Gefahr für Leib und Leben. Die anderen fürchten um ihren Job, der das wirtschaftliche Überleben ermöglicht, wünschen sich also mehr Betreuung und merken an, dass nicht jede potenzielle Gefahr über der funktionierenden Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Klima stehe.

Als sich die Kultusminister am Dienstag auf eine schrittweise Öffnung der Schulen einigten, nahmen gleich Bundeselternrat, Lehrergewerkschaften und Schüler Stellung. So ist es richtig und wichtig, sind sie doch die Betroffenen. Der Schüler Dario Schramm aus Bergisch Gladbach, Mitglied der Bundesschülerkonferenz, hat bereits vor Wochen eine Petition aufgesetzt, welche darauf abzielt, die Abiturprüfungen abzusagen. In einem Fernsehbeitrag kritisierte er, dass Ministerpräsident Armin Laschet Schüler als „Testobjekt“ benutze. Wegen Hygienemängeln und fehlenden Schutzmöglichkeiten sei es den Schülern nicht zumutbar, Prüfungen zu schreiben, zumal die psychischen Belastungen auch groß seien. Bis jetzt haben 23.000 Menschen allein aus NRW diese Petition unterzeichnet. Der Lehrerverband kritisierte eine nicht vorhandene Maskenpflicht in Schulen.

Gegensätzliche Empfehlungen tragen zur Verunsicherung bei

Wie unterschiedlich die Standpunkte sind, zeigt der Flickenteppich der Regelungen in den Ländern. Während in einem Land nur die Abschlussjahrgänge zur Schule sollen, dürfen in einem anderen nur Sechstklässler eines Gymnasiums zur Schule, keine Gemeinschaftsschüler, und bei den Grundschulen ist man sich auch uneins. Auch die Empfehlungen der Experten widersprechen sich.

Während das RKI dazu riet, mit den älteren Jahrgängen anzufangen, da diese Hygieneregeln besser einhalten könnten, empfahlen Wissenschaftler der Leopoldina, der nationalen Akademie der Wissenschaften, insbesondere die jüngeren Kinder in die Schulen zu lassen. Weil sie nicht mit der digitalen Technik umgehen könnten. Der bekannte Virologe Christian Drosten mahnt indessen an, dass es keine richtigen Studien darüber gibt, inwiefern Kinder das Virus tatsächlich verbreiten. Die Datenlage sei so dürftig, dass man keine Entscheidungen darauf basierend treffen sollte. Zum Abbau der allgemeinen Verunsicherung trägt dieses Regel- und Empfehlungspotpourri nicht bei.

Derweil kritisieren viele Eltern, dass es möglich ist, sich neues Gartenmobiliar zuzulegen, nicht aber sein Kind betreuen zu lassen. So schlägt das vor Wochen noch große Verständnis bei mehr Bürgern in Unverständnis um. Fakt ist: Ein Hort der Gesundheit waren Schulen, erst recht Kindertagesstätten auch in der Prä-Coronazeit noch nie. Ob Röteln, Läuse, Durchfall oder diverse Infekte: Kinder tragen alle möglichen Krankheiten in die Familie. Und auf den meisten öffentlichen Schulen war es bisher ein Graus, Türklinken anzufassen, geschweige sich auf die Toilette zu setzen.

Psychische Gesundheit nicht außer Acht lassen

Die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey plant, noch vor dem Sommer die Kitas zu öffnen. Der Kinderschutzbund betont, wie bedeutsam sozialer Austausch für Kinder ist. „Gerade für Einzelkinder ist es wichtig, jemanden zum Spielen zu haben. Kinder sollten nicht nur von Erwachsenen umgeben sein“, sagte Nicole Vergin, Sprecherin des Kinderschutzbundes NRW. Auch warnt sie vor dem Anstieg häuslicher Gewalt. „Der Druckpegel in den Familien steigt“, so die Sprecherin. Gewaltfreie Erziehung, Austausch mit Kindern und Lernen tragen zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen bei. Was macht es mit Kindern, wenn sie keine Geschwister zum Spielen haben, sondern nur allein, womöglich vor dem Fernseher hocken? Was macht es wiederum mit Kindern, wenn sie sich mit mehreren Geschwistern nur auf engem Raum aufhalten können? Wie kann körperliche Unversehrtheit gewahrt werden? Diese Gesundheitsgefährdung darf gegenüber der Gefahr vor dem Coronavirus nicht weniger wahrgenommen werden, können Schäden der Psyche, Seele und Entwicklung doch lebenslange Auswirkungen haben.

Welcher Weg der richtige ist, wird sich erst im Nachhinein zeigen. Doch dieses Nachhinein wird viel Interpretationsspielraum lassen. Die einen werden Maßnahmen als bewiesen überzogen kritisieren, die anderen, bei einer weiteren Ausbreitung als bewusst zu lasch. Wahrscheinlich gibt nicht nur einen richtigen Weg.