Über die Wandlungen des Menschen
Tiere verwandeln sich in Menschen, Menschen in Maschinen – trotz technischen Fortschritts sind solche Phänomene doch Utopie. Die Literatur aber lässt sie denkbar und wirklich erscheinen. Verwandlungsgeschichten von der Antike bis heute hat der Wuppertaler Philosoph Andreas Steffens untersucht, folgt so dem Thema der Literatur Biennale „Tier, Mensch, Maschine – Berührungen“.
Seinen Essay trug Steffens am Biennale-Wochenende im Café Ada vor. Die im Text eingestreuten Zitate sprachPhilippine Pachl vom Wuppertaler Schauspiel beim coronabedingten Auftritt per Livestream.
Steffens setzt bei den „Metamorphosen“ von Ovid an, die ohne Gentechnik auskommen. Prometheus handelt in göttlichem Auftrag, wenn er aus Tieren Menschen formt. Ihren tierischen Ursprung können die Verwandelten freilich nie ganz überwinden: Auch sie sehen „rot“ wie der Stier, sind impulsiv und aggressiv. Die Erklärung, die die griechisch-römischen Mythen liefern, lässt Steffens so nicht stehen. Auch nach Ovid habe das Tier allzu oft als „Sündenbock des Unmenschlichen“ herhalten müssen. Dabei befähigten gerade die geistigen Kapazitäten den Menschen zu „bestialischen Taten“, zu Schlachten und Töten, wie es bei Elias Canetti heißt.
Mit der Industrialisierung erweitert sich die Beziehung von Mensch und Tier um die Maschine. In der Fabrik, erklärt Steffens, seien die Arbeiter gezwungen, sich dem Rhythmus der Maschinen anzupassen – Charlie Chaplin schuf dazu im Film „Modern Times“ (1936) wunderbare Bilder. Die Mechanisierung habe die Philosophen dazu gebracht, das Wesen des Menschlichen zu überdenken. Martin Heidegger habe vom Menschen „als technischem Tier“ gesprochen.
Die beiden Vortragenden halten sich lieber an „Der Löwe und die Christin“ von Robert Walser. In der Fabel ist der König der Tiere menschlicher als Christenverfolger Nero. Steffens‘ konsequente These: „Bevor der Mensch Mensch wird, muss er noch einmal Tier werden.“ Sein Essay „Das Wesen, das nicht eines ist“ erscheint Ende November im Nordpark Verlag. dad