Zeitgeschichte Sein Putsch scheiterte kläglich – doch Hitler kam zurück

München · Vom Bürgerbräukeller zur Feldherrenhalle: Vor 100 Jahren griffen Hitler und Ludendorff in München erfolglos nach der Macht. Doch ein milder Richter ermöglichte Hitler ein baldiges Comeback.

SA-Truppen aus dem Umland kamen vor dem Bürgerbräukeller in München während des „Hitler-Putsches“ am 8. November 1923 an.

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. Der Münchner Bürgerbräukeller war wegen Überfüllung bereits geschlossen an diesem Abend des 8. November 1923. Bierdunst waberte durch den Raum, in dem sich rund 3000 „vaterländische“ Münchner versammelt hatten – zum einen um dem 5. Jahrestag der verhassten Novemberrevolution zu gedenken, an dem das Ende der Monarchie im Deutschen Reich eingeläutet wurde. Zum anderen, um Generalstaatskommissar Gustav von Kahr, dem stramm rechten, starken Mann Bayerns, bei seiner Rede zum Thema „Vom Volk zur Nation“ zu lauschen. Adolf Hitler aber hatte dazu keine Lust. Er hatte  mit General Erich Ludendorff (dem Haupterfinder der „Dolchstoßlegende“, wonach die politische Linke der kämpfenden Armee im Weltkrieg in den Rücken gefallen sei)  selbst für 20.30 Uhr in den Bürgerbräukeller geladen – und etwa 600 Mitglieder der Hitler unterstellten Kampfbünde, vor allem bewaffnete SA-Männer unter Hermann Göring, kamen und stürmten den Bürgerbräukeller. Hitler kletterte auf einen Tisch, schoss mit seiner Pistole in die Decke und erklärte die Regierungen in Bayern und in Berlin für abgesetzt. Der Auftakt des Staatsstreiches, der als Hitler-Putsch in die Geschichte eingegangen ist. Auch wenn er einen Tag später im Desaster für den Führer der NSDAP enden sollte.

Ebert wird ignoriert: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“

Dieser Putschversuch beendete das für die Weimarer Republik so bedrohliche Krisenjahr 1923. Begonnen hatte es mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen, im Herbst versuchten Linksregierungen aus KPD und SPD in Sachsen und Thüringen einen „deutschen Oktober“ zu entfesseln, sprich eine Räterepublik zu installieren. Doch hiergegen ging die Reichsregierung hart vor, die Aufstände wurden konsequent niedergeschlagen. Weit weniger energisch schritt Berlin gegen das rechtsautoritäre Regime von Kahrs ein. Als Reichspräsident Friedrich Ebert Anfang November auch in Bayern eine Reichsexekution anordnete, verweigerte sich der Chef der Heeresleitung, Hans von Seeckt mit den Worten: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr.“ Zudem erreichte die Hyperinflation ihren Höhepunkt, am 8. November notierte der US-Dollar den grotesken Gegenwert von 630 Milliarden Papiermark, was auch in München nun immer öfter soziale Unruhen auslöste. In dieser äußerst angespannten Stimmungslage wollten Hitler und Ludendorff nicht mehr abwarten, bis der zögerliche von Kahr und seine Paladine Otto von Lossow, der bayrische Kommandeur der Reichswehr, sowie der Chef der Landespolizei, Hans von Seißer endlich von Bayern aus versuchen würden, eine nationalistische Diktatur im Reich einzusetzen.

Doch dann machten die Verschwörer noch im Bürgerbräukeller einen Fehler. Man setzte das Triumvirat zwar fest, doch nachdem Hitler den Saal im Glauben verlassen hatte, die Soldaten in den Kasernen würden ihm folgen, ließ Ludendorff die Drei frei, nachdem sie per Ehrenwort ihre Loyalität versprochen hatten. Doch Kahr, Lossow und Seißer dachten gar nicht daran, sich daran zu halten. Per Telefon organisierten sie sofort die Niederschlagung des Putsches am folgenden Tag.

An diesem 9. November wollte Hitler in einer Mischung „aus wütender Gier nach Rache und optimistischer Entschlossenheit“ (Martin Broszat) aufs Ganze gehen wie sein Vorbild Mussolini und dessen „Marsch auf Rom“ 1922. Mit rund 2000 Getreuen zogen er und Ludendorff vom Bürgerbräukeller los durch die Innenstadt, um – so der Historiker Michael Wildt – „trotzig aller Welt den Ausbruch der nationalen Revolution“ zu beweisen. Doch an der Feldherrenhalle wurde der Zug von der Polizei gestoppt. Ein heftiger Schusswechsel entbrannte, bei dem vier Polizisten und 14 Putschisten ums Leben kamen. Der Marsch auf die Feldherrenhalle brach in sich zusammen.

Einer der erschossenen Aufständler war Hitlers Berater Max Erwin von Scheubner-Richter, der direkt neben Hitler ging. Nicht nur der britische Historiker Ian Kershaw hat sich später gefragt, wie anders (und besser) die Weltgeschichte wohl verlaufen wäre, hätte die Kugel des Polizisten nur wenige Zentimeter weiter rechts eingeschlagen...

Hitler indes stürzte nur, kugelte sich die Schulter aus, ein Sanitätsarzt der SA schaffte ihn im Auto raus aus München in ein Versteck am Staffelsee. Schon zwei Tage später freilich wurde er dort von der Landespolizei aufgespürt und verhaftet. Ende Februar 1924 begann der Prozess gegen Hitler, Ludendorff und Co. wegen Hochverrats. Der Bayrische Volksgerichtshof urteilte am 1. April überaus milde: Hitler kam mit nur fünf Jahren Festungshaft in Landsberg davon.  Doch auch die musste er nicht mal annähernd absitzen, seine neun Monate im Gefängnis reichten gerade aus, um dort sein Pamphlet „Mein Kampf“ zu verfassen. Schon vor Weihnachten 1924 kam er auf Bewährung frei – und machte sich sofort daran, die NSDAP neu aufzustellen.

Wieder stellt sich die Frage, was der Welt erspart geblieben wäre, wenn der bayrische Richter nicht auf dem rechten Auge blind gewesen wäre und Hitler wenigstens fünf Jahre weggesperrt geblieben wäre. Zwar kam die Weimarer Republik nach 1923 für fünf Jahre zur Ruhe, doch 1929 begann der Weg raus aus der Demokratie – und mit der Machtübertragung an Hitler und die Nazis 1933 in den Abgrund. Den in Wahrheit kläglich gescheiterten Putsch deuteten die Nazis später zum heldenhaften Märtyrertum um und machten den 9. November sogar zum Feiertag.