Der Koalitionsvertrag für den Bund hat nach Überzeugung von Ministerpräsident Hendrik Wüst in vielen Bereichen große Auswirkungen auf Nordrhein-Westfalen. Bei allem Verständnis auch für manche Enttäuschung über nicht eingelöste Reformerwartungen bleibe unter dem Strich, „ein Koalitionsvertrag, der Deutschland viele Chancen eröffnet“, sagte der CDU-Landeschef in Düsseldorf.
Speziell für Nordrhein-Westfalen bedeute das: „Entlastung unserer Kommunen, nicht nur bei den Altschulden, mehr Wettbewerbsfähigkeit für die Wirtschaft, insbesondere die energieintensive Industrie, neue Möglichkeiten für unsere Sicherheitsbehörden, um gegen Terrorismus und Kindesmissbrauch vorzugehen, und mehr Fairness in der finanziellen Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern“. In der Staatskanzlei deklinierte Wüst anhand zahlreicher Beispiele durch, wo er in dem 144-Seiten-Papier Fortschritte für das Land erwartet.
- „Wir können festhalten, die energiepolitischen Kernforderungen der nordrhein-westfälischen Landesregierung finden sich im Koalitionsvertrag wieder.“ Für alle werde die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß gesenkt, Umlagen und Netzentgelte würden reduziert. „Das sind gute Nachrichten, sowohl für Verbraucher als auch für die Industrie.“ Für die Haushalte in NRW bedeute die Senkung der Stromsteuer eine spürbare Entlastung.
- Die Ankündigung, die Gasspeicherumlage abzuschaffen und einen günstigen Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen einzuführen, sei für die Wirtschaft sehr wichtig.
- Auch die Zusage, bis 2030 noch 20 Gigawatt an Leistung in zusätzlichen Gaskraftwerken auszubauen, entspreche den wesentlichen Forderungen aus NRW.
- Das Bekenntnis zum Pakt für Planungsbeschleunigung sowie zur Notwendigkeit eines weiteren Bürokratieabbaus seien wichtige Signale - insbesondere an die nordrhein-westfälische Wirtschaft.
- Grundvoraussetzung für positive Wirkungen sei eine schnelle Umsetzung, betonte Wüst. „Wichtig ist jetzt, dass die neue Bundesregierung dafür sorgt, dass das Geld schnell und unbürokratisch bei Ländern und Kommunen ankommt.“
- Der Koalitionsvertrag sei immerhin ein erster Schritt auf dem Weg zu den notwendigen umfassenden Unternehmenssteuerreformen. „Aber klar ist auch: Bei der Entlastung der Wirtschaft hätte man sich an der einen oder anderen Stelle noch mehr, auch schnelleres Vorgehen vorstellen können“, räumte der CDU-Politiker ein.
- Positive Nachrichten gebe es für das Rheinische Revier. Die schwarz-rote Koalition bekenne sich zu den rund 15 Milliarden Euro an Strukturhilfen für die nächsten Jahre.
- Die Zusage einer hälftigen Beteiligung des Bundes am Entschuldungsprogramm für besonders belastete Kommunen sei ein erster wichtiger Schritt hin zu einer dauerhaften Lösung der Altschulden-Problematik.
- Zwischen Land und Kommunen gibt es schon seit langem das sogenannte Konnexitätsprinzip: Wer bestellt, bezahlt. Das dieses Prinzip künftig auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern gelten solle, bezeichnete Wüst als Meilenstein. „Wenn Bundesgesetze bei Ländern und Kommunen zu mehr Ausgaben oder Mindereinnahmen führen, wird künftig sichergestellt, dass die entsprechenden Mittel bei der Ausführungsebene ankommen.“
- Ein wichtiger Testfall hierfür sei ein fairer Umgang beim Thema Kitas. „Der Bund hat den Kommunen mit der Umsetzung des Kita-Rechtsanspruches ein gewaltiges Paket auf die Schultern gelegt“, sagte Wüst. Es sei ein Fehler gewesen, dass der Bund sich Ende 2021 aus der Finanzierung des von ihm zu verantwortenden Platz-Ausbaus zurückgezogen habe. „Gut, dass die neue Koalition diesen Fehler jetzt korrigiert und in die Förderung des Platzausbaus wieder einsteigt.“
- Bei der Migration seien wichtige Schritte vorgesehen, „die uns einer Begrenzung und Steuerung der Flüchtlingszahlen deutlich näherbringen werden“, sagte Wüst. Nach dem Terroranschlag von Solingen habe er auch persönlich immer wieder konkrete Vorschläge zur Migrationspolitik gemacht, die nun aufgegriffen worden seien. „Es ist gut, dass künftig Staaten, deren Anerkennungsquote fünf Jahre lang unter fünf Prozent liegt, damit automatisch als sichere Herkunftsländer ausgewiesen werden.“
- Auch für die Speicherpflicht für IP-Adressen habe sich NRW auf Bundesebene eingesetzt. „Die Sicherheitsbehörden brauchen diese Instrumente dringend im Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität und die massenhafte Verbreitung von Filmen und Bildern von schwerem Kindesmissbrauch“, betonte der Regierungschef. In NRW hatten in den vergangenen Jahren einige große Missbrauchskomplexe auch bundesweit für Schlagzeilen und Entsetzen gesorgt. „Das ist ein Thema - ich glaube, das hat auch jeder gespürt - dass mir persönlich nahegeht“, sagte Wüst.
Wüsts Warnungen: Weg vom Ampel-Stil
Wüst formulierte aber auch Forderungen an die künftige Bundesregierung. Die Demokratie stehe unter einem immensen Druck, warnte er. Populisten und Extremisten verlören erst dann wieder Einfluss, wenn Demokraten die Probleme lösten.
„Die neue Bundesregierung muss sich auch im Stil klar von der vorgehenden Regierung unter unterscheiden“, unterstrich Wüst. „Und alle demokratischen Parteien in Deutschland werden in den nächsten vier Jahren konstruktiv zusammenarbeiten müssen.“
Verständnis für Skepsis der jungen Generation
Auf die neue Bundesregierung komme eine erhöhte Verantwortung zu, die künftigen Generationen nicht aus dem Blick zu verlieren. „Ich kann durchaus nachvollziehen, wenn zum Beispiel junge Leute in unserem Land diesem Koalitionsvertrag mit einer gewissen Distanz oder Skepsis begegnen“, räumte Wüst ein. „Neue Schulden, neuer Wehrdienst, dafür keine konkreten Vereinbarungen zur ausreichend großen Reform des Rentensystems - zumindest noch nicht.“
Investitionen in die Infrastruktur dürften nicht allein auf dem Rücken der jungen Menschen ausgetragen werden. „Wir brauchen schnell die verabredeten und eben beschriebenen Wachstumsimpulse für neues Wirtschaftswachstum und einen konkreten Plan, wann und wie die entstehenden Kreditlasten zurückbezahlt werden.“
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