Nächtliche Ausgangssperre Wenn ab 21 Uhr niemand mehr aus dem Haus darf
Düsseldorf/Remscheid · Auf Bundesebene wird über einheitliche Regeln zu nächtlichen Ausgangssperren nachgedacht – in Remscheid und anderswo gibt es sie bereits. Doch was bedeutet das genau?
Wie würden Sie zu einer Ausgangssperre während des Lockdowns am Abend und in der Nacht stehen, bei der man nur noch in Ausnahmefällen auf die Straße darf?“ 56 Prozent der Befragten sagten dazu Mitte Januar in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov, sie seien für eine solche Ausgangssperre. 36 Prozent waren dagegen. Dieser Mehrheitswunsch rückt näher und ist mancherorts bereits Realität.
Über eine nächtliche Ausgangssperre überall dort, wo ein Corona-Inzidenzwert von 100 überschritten wird, wird aktuell nachgedacht – für ein dann bundesweit geltendes neues Infektionsschutzgesetz. Eine Art Automatismus also. Einzelne vor Ort beschlossene Regelungen, wie sie etwa die Stadt Remscheid beschlossen hat, müssten praktisch gar nicht mehr diskutiert werden.
In Remscheid bleiben nun abends die Straßen leer
Während in der bergischen Stadt ab Dienstag zwischen 21 und 5 Uhr die eigene Wohnung oder das eigene Grundstück nicht mehr verlassen werden dürfen, hat der Märkische Kreis aufgrund einer entsprechenden Regelung am Wochenende bereits Verstöße mit Bußgeld geahndet. Es gibt freilich Ausnahmen, in denen man doch auch in der Nacht sein Haus verlassen darf. So schrieb etwa Remscheid unter anderem diese in seine Allgemeinverfügung: Zur Abwendung einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum, insbesondere eines medizinischen oder veterinärmedizinischen Notfalls oder anderer medizinisch unaufschiebbarer Behandlungen. Auch wer zur Arbeit muss und dies per Arbeitgeberbescheinigung nachweist, darf das Haus verlassen. Ebenso dürfen Ehe- und Lebenspartner besucht werden.
Ob solche Regelungen vor Gerichten Bestand haben, ist allerdings nicht ganz klar. So hatte zum Beispiel das Verwaltungsgericht Aachen im vergangenen Dezember eine vom Kreis Euskirchen verhängte nächtliche Ausgangssperre kassiert. Auch in Baden-Württemberg hatte der Verwaltungsgerichtshof eine für das ganze Bundesland geltende nächtliche Ausgangssperre im Februar verworfen. In Bayern und in Hamburg hingegen gaben die Gerichte grünes Licht für solch weitreichende Maßnahmen.
Rechtsexperten kritisieren, dass das geltende Recht keine gültige Rechtsgrundlage für Ausgangssperren hergebe. Laut der Jenaer Rechtsprofessorin Anika Klafki können nach § 28 des Infektionsschutzgesetzes Personen zwar verpflichtet werden, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind. Doch nach dem Sinn der Vorschrift seien damit lediglich vorübergehende Fälle gemeint, um ansteckungsverdächtige Personen zu isolieren. Die Vorschrift rechtfertige keine allgemeine Ausgangssperre, schreibt die Juristin auf dem Portal juwiss.de.
Und Felix Schmitt, Lehrbeauftragter an der Berliner Humboldt Universität, wird auf verfassungsblog.de noch deutlicher: „Ausgangsverbote erklären das Verlassen der eigenen Wohnung zum begründungsbedürftigen Ausnahmefall und verschieben damit die Rechtfertigungslast zwischen Staat und Bürger im gesamten öffentlichen Leben.“ Schmitt weiter: „Wer einen anderen Hausstand besucht, muss um 21 Uhr zuhause sein oder dort übernachten.“ Der Weg nachhause müsse jedoch immer ein triftiger Grund sein, den öffentlichen Raum zu durchqueren.
Das Verwaltungsgericht Aachen hatte die Ausgangssperre im Kreis Euskirchen mit dieser Begründung abgelehnt: Treffen mehrere Personen im privaten Raum zusammen, könnten diese Treffen bereits durch die geregelten Beschränkungen unterbunden werden, einer Ausgangssperre bedürfe es daneben nicht.
Die NRW-Landesregierung hatte immer argumentiert, dass sie die Einhaltung der Regeln (wie viele Personen aus wie vielen Hausständen dürfen sich treffen?) praktisch gar nicht kontrollieren wolle und könne. Das gebiete schon das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung. Eine per Ausgangssperre allen auferlegte Grundrechtseinschränkung dürfte indes noch schwerer wiegen als die Verfolgung von Verstößen in Einzelfällen.
Zusammenkünfte am Tag werden so nicht verhindert
Auch bleibt die Frage: Wenn eine nächtliche Ausgangssperre das Zusammentreffen mehrerer Menschen in Privatwohnungen vermeiden soll – verlagern sich solche privaten Zusammenkünfte dann eben auf andere Tageszeiten?
FDP-Fraktionschef Christian Lindner sieht die Ausgangsbeschränkungen „verfassungsrechtlich fragwürdig und teilweise epidemiologisch noch nicht einmal wirksam“. Es gehe in Wahrheit ja darum, Ansammlungen von Menschen, Wohnungspartys und anderes zu unterbinden. „Dafür kann man aber keine generelle Ausgangssperre verhängen. Da gibt es mildere Mittel.“
Doch die sieht Remscheid längst nicht mehr. Die Stadt mit dem NRW-weit höchsten Inzidenzwert von 217,4 hält die nächtliche Ausgangssperre neben weiteren Maßnahmen für geboten. Der städtische Krisenstab begründete dies auch mit der dramatischen klinischen Situation. Man müsse davon ausgehen, dass in den nächsten Wochen die Intensivbettenkapazitäten ausgeschöpft seien. Nachweislich finde ein großer Teil der Ansteckung im privaten Bereich statt.