Bauernproteste Wie ein Bauer vom Niederrhein den Protest sieht: „Da hat sich ganz viel aufgestaut“
TÖNISVORST/DÜSSELDORF · Wie ein Tönisvorster Landwirt den Bauernprotest erklärt – auch, wenn er nicht alles daran gut findet.
Ganz wohl ist Bauer Sieben nicht. Das kleine Habeck-Drama bei der Rückkehr des deutschen Wirtschaftsministers aus dem Urlaub hat ihn nachdenklich gemacht. Protestierende Bauern ließen Habeck nicht an Land kommen. Und auch die massiven Staus durch wütende Bauern auf unzähligen Traktoren in der Republik hält Landwirt Hans-Leo Sieben nicht für das richtige Mittel im Protest der deutschen Landwirte gegen die Politik der Bundesregierung. Seine fünf Traktoren blieben auf dem Hof. „Die Art des Protests gefährdet die Ziele“, sagt Sieben, wie er da so im Ledersessel auf seinem Hof in Tönisvorst sitzt. Denn die Ziele, die hält der Kattoffelbauer Sieben für richtig.
Der 71-Jährige, dessen Sohn Andre den Betrieb inzwischen führt, ist keiner dieser unversöhnlichen Lobbyisten. Sieben, der in der Kommunalpolitik für die CDU tätig war, will mit Argumenten überzeugen. Und hält das Wort von einer völlig übersubventionierten Branche für heillos ungerechtfertigt. „In diesem Protest der Bauern geht es nicht nur um teureres oder günstigeres Diesel“, sagt Sieben. „Es hat sich einfach unglaublich viel aufgestaut, das sich jetzt entlädt.“ Es ist eine Sicht auf die Dinge die mit fehlender Anerkennung, überbordender Bürokratie, Entrechtung und harter Konkurrenz zu tun hat. Sieben sagt: „Unser Ruf ist schlecht. Und das ist ungerechtfertigt.“
Als wir mit Sieben in Tönisvorst über die deutsche Sicht auf Bauern diskutieren, demonstrieren zeitgleich mehrere tausend Landwirte in Nordrhein-Westfalen mit ihren Traktoren gegen die Sparpläne der Bundesregierung. Sie blockieren mit schwerem Gerät Kreuzungen und Auffahrten und sorgen nach Angaben der Polizei landesweit an verschiedenen Stellen für zum Teil massive Verkehrsbehinderungen. Organisiert wird der Protest von den Kreisverbänden vor Ort.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) äußert Verständnis. Die zusätzlichen Belastungen beim Diesel seien „keine Peanuts“, sagt Wüst. „Es ist eine Menge Geld, das da in Rede steht, und deswegen kann ich das nachvollziehen, dass dort protestiert wird.“ Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) fordert in einer Stellungnahme von der Bundesregierung eine vollständige Rücknahme der geplanten Streichung von Subventionen für die Landwirtschaft. Bei den Plänen zur Besteuerung von Agrardiesel würden ihren Angaben zufolge ab 2026 rund 40 Millionen Euro pro Jahr für die Landwirtschaft in NRW wegfallen. Sieben findet es problematisch, dass die CDU sich so sehr an die Seite der Bauern stürze. Das sei ziemlich offensichtlich der Versuch, gegen die Ampel zu schießen und die Stimmen der Bauern zu gewinnen, sagt er. „Aber so funktioniert Politik nun mal.“ Lieber ist ihm, das aufzuzählen, was gutes Recht der Landwirte sei. Es gebe ja ohnehin nur noch wenige. „Früher waren es mal zwölf Prozent, heute ist es nur noch ein Prozent der Bevölkerung.“
Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Agrardiesel. Das, so Sieben, sei schlicht keine Subvention, sondern historisch gewachsen, weil landwirtschaftliche Fahrzeuge kaum auf öffentlichen Straßen führen und so durch sie auch kein Unterhalt für das Straßennetz nötig werde. Und wenn Sieben seine Kartoffeln per Dieselmotor bewässert, nutze er gleich überhaupt keine Straßen. Wenn Bauern nun aber mehr für Diesel zahlen müssen, seien kleinere Betriebe wie seiner besonders betroffen, weil sie schwerer zu bewirtschaften seien. Mit mehr Diesel. Und eine andere Chance als die Dieselnutzung hätten die Landwirte ja nun ohnehin nicht, sagt Sieben. E-Traktoren gebe es nicht zu kaufen. Und wenn sie entwickelt seien, dann mit zu wenig Kraft für all die Ansprüche auf den Feldern. Auch der Einsatz von Wasserstoff sei noch nicht möglich – und obendrein völlig unverhältnismäßig. Sieben beobachtet alle neuen Entwicklungen. Und dass mit der Abschaffung der Subvention CO2 eingespart werden könne, hält er auch für absurd, wenn die Alternativen fehlten. „Jeder Landwirt nutz auch jetzt alle Möglichkeiten, Diesel einzusparen, ob bei 1,50 oder 1,70 Euro.“
Die Grünen im NRW-Landtag äußerten sich gestern auch. „Die Rücknahme der überproportionalen Belastung der Landwirtschaft war eine gute Entscheidung. Es ist wichtig, dass ein einzelner Sektor wie die Landwirtschaft bei den Haushaltseinsparungen nicht unverhältnismäßig belastet wird“, sagt deren landwirtschaftlicher Sprecher, Norwich Rüße. Langfristig aber müsse es das Ziel bleiben, klimaschädliche Subventionen wie den Agrardiesel überflüssig zu machen. „Die Interessen der Landwirtschaft und des Umwelt- und Klimaschutzes dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, so Rüße.
Sieben wird das unterschreiben. Ihm liegt aber noch mehr auf der Seele. So viel hätten die Bauern in den vergangenen Jahren einstecken müssen. Die Düngeverordnung, ohne jedes Verursacherprinzip. Zwangsstilllegungen von Flächen nach EU-Recht, damit Natur sich entwickeln könne, wie es hieß. Eine Art Enteignung, findet Sieben. Die Grundsteuer, die Vorsteuerpauschale, all die Bürokratiemonster. Und da sei ja auch die fehlende Anerkennung. Man pflege Kulturlandschaft, sagt Sieben, dessen Sohn zuletzt einige Tage den Menschen im Ahrtal geholfen habe. Man garantiere Versorgungssicherheit auch in Krisen. Und befinde sich im Wettkampf auch mit anderen Ländern in der EU, gar weltweit. „Es gibt viele Länder, in denen Diesel für die Bauern fast nichts kostet. Wenn die günstiger anbieten können durch geringere Auflagen, Löhne, Sozialstandards, Steuern oder Lebensmittelrecht, verschwinden wir vom Markt“, sagt Sieben. Dabei sei die Nachfrage nach Kartoffeln aus der Region durchaus hoch. Er verkauft an „Kaufland“ und an „Globus“. Auch an viele Hofläden. Das Verkaufsnetz aufzubauen hat viel Kraft gekostet. Sieben wirkt nicht, als sei er durchs Leben geschwebt. Aber jetzt sei es eben auch mal genug.