Premiere im Schauspielhaus Klassenkämpfer hauen auf den Putz

Düsseldorf · Die Inszenierung „Working Class“ thematisiert das Leben von Dienstleistern, ohne die der Laden nicht laufen würde – Menschen, die gegen Geldmangel und um soziale Anerkennung kämpfen.

Vier Frauen und vier Männer geben als Laiendarsteller Einblicke in die Nöte und Wünsche der „Working Class“.

Foto: Melanie Zanin

Warum der Abend im Schauspielhaus einen englischen Titel trägt, bleibt bis zum Schluss unklar. Andererseits: mehr Klassenbewusstsein als in dieser Bühnentruppe mit dem Stück „Working Class“ ist kaum vorstellbar. Die Inszenierung mit acht Laiendarstellern haut kräftig auf den Putz. Unter den mutigen Klassenkämpferinnen und -kämpfern: eine Reinigungskraft des Theaters.

Im Internet führt die Titeleingabe zu einem Buch, das zum Stück passen könnte. Julia Friedrichs Sachbuch „Working Class: Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können“ hinterfragt die Ursachen für prekäre Arbeitsverhältnisse, bei denen ein Vermögensaufbau kaum möglich erscheint. Die Autorin fokussiert sich auf eine unendliche Liste sogenannter einfacher Tätigkeiten wie Beliefern, Bedienen, Pflegen, Spülen, Reinigen, Auffüllen, Ernten. Der Wunsch nach gesellschaftlichen Umwälzungen ist bei der Lektüre programmiert.

So wie auch nach eineinhalb Stunden „Working Class“ im Kleinen Haus. Auf der Bühne steht die zweite oder dritte Generation nach den sogenannten Gastarbeitern der 60er- und 70er-Jahre. Wirtschaftlich sind sie kaum weitergekommen als ihre Eltern und Großeltern. In der Regie von Bassam Ghazi und choreografiert von Yeliz Pazar treten Menschen an die Rampe, die der sozialen Brandmauer auf der Bühne und in ihrem Leben ein paar Risse verpassen wollen. „Mein Name ist Ausländer“ sagen sie unisono und berichten von nicht enden wollenden Arbeitstagen, ständigem Geldmangel, herablassendem Gebaren der Arbeitgeber und alltäglichem Rassismus. Indem sie sich, durchaus im Sinn von Karl Marx, als Arbeiterklasse definieren, fühlen sie sich stärker. Zusammen ist man halt weniger allein.

Eigentlich ist der phasenweise sehr unterhaltsame Abend eine Hommage an Semra Ertan. Im türkischen Mersin geboren, kam sie 1971 als Jugendliche nach Kiel. Sie arbeitete in verschiedenen Berufen, schrieb aber auch mehr als 350 Gedichte. Einige wurden in Zeitungen abgedruckt. Ihr Thema waren die Probleme und Sorgen von Arbeitsmigranten. „Wenn wir alle zurückkehren würden, wer machte dann die schmutzige Arbeit?“, fragte sie in einem Radiogespräch.

Am 24. Mai 1982 übergoss sich Semra Ertan in Hamburg öffentlich mit Benzin und zündete sich an. Zwei Tage später starb sie an ihren Verbrennungen.