Gesellschaft Die Alte Feuerwache macht auf Alltagsrassismus aufmerksam
Das neue Projekt „#unkommentiert“ soll Kindern und Jugendlichen ein Sprachrohr geben.
Egal, ob latent oder offensichtlich, ob im Alltag oder im Beruf, ob in den sozialen Medien oder im wahren Leben: Rassismus wird überall erlebt und doch oft nicht benannt, vielmehr als „nicht so schlimm“ abgetan. Es ist ein Phänomen, das sich in den kleinen Geschehnissen des Alltags versteckt, bei einer Zugfahrt beispielsweise oder beim Fußball. Es ist auch ein Phänomen, das sich völlig offen und strukturell zeigt wie in der Schule oder im Berufsleben. Deshalb braucht es positive und aufmerksamkeitserregende Beispiele, die Rassismus benennen, den weiße Mehrheitsangehörige selbst nicht erleben und oft nicht wahrnehmen.
„#unkommentiert“ ist ein solches Beispiel. Ins Leben gerufen von der Alten Feuerwache, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Kindern und Jugendlichen, die mit Rassismus konfrontiert wurden, eine Stimme zu geben. In regelmäßigen Abständen posten sie auf ihren Kanälen in den sozialen Medien Zitate der Kinder und Jugendlichen, die in den vergangenen Jahren gesammelt wurden, um deutlich zu machen, mit welchen Äußerungen sie zu kämpfen haben.
Ein mulmiges
Gefühl beim Zugfahren
„Als mich die Lehrerin gefragt hat, welches die Fahne meines Landes ist, habe ich auf die deutsche Flagge gezeigt. Da hat sie gesagt: ,Nein, ich meine das Land, aus dem du eigentlich kommst’“, lautet einer der Posts, der ein sechsjähriges Kind zitiert. Die Lehrerin gesteht dem Kind eine Heimat nur fern von Deutschland zu, vermittelt ihm, dass es in diesem Land nicht dazugehört. Alle Beiträge sind anonymisiert, nur das Alter wird veröffentlicht, um zu zeigen, wie früh Rassismus beginnt.
Im WZ-Gespräch mit Jugendlichen und Betreuern in der Alten Feuerwache wurde ebenfalls deutlich, wie stark die jungen Leute in ihrem bisherigen Leben bereits Ablehnung erfahren haben. Yaris (21, alle Namen der Jugendlichen von der Redaktion geändert) erzählt, dass er schon bei alltäglichen Dingen wie Zugfahren manchmal ein mulmiges Gefühl hat: „Schaut der mich jetzt so an, weil er meine Haare komisch findet? Oder doch, weil er sie vielleicht schön findet? Ich hab keine Ahnung.“ Weil für ihn Diskriminierung an der Tagesordnung ist, geht er oft vom schlimmsten aus.
Auch Sajida (17) berichtet von einer Freundin, die in der Schule nicht drangenommen wird, weil man „eben keine falschen Antworten hören will“. Und Karim (29) muss sich oft abschätzigen Blicken aussetzen, wenn er mit seiner hellhäutigen Freundin unterwegs ist.
Die Geschichte
einer Praktikumssuche
Diese ganz offensichtlichen Anfeindungen zeigen: Rassimus wird salonfähiger und es wird geduldet. Dagegen will das Projekt „#unkommentiert“ angehen, damit verbale oder körperliche Attacken gegen Schwarze Menschen, People of Color, also „Menschen von Farbe“, und Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland eben nicht unkommentiert bleiben. Es soll Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen, die Toleranz erhöht und auf Benachteiligung in der Gesellschaft aufmerksam gemacht werden.
„Gerade in einer Krisenzeit, in der wir uns nun mal aktuell befinden, ist das extrem wichtig. Die Leute haben Angst um ihre Arbeitsplätze und sehen in den ,Ausländern’ eine Bedrohung“, sagt Leiter Joachim Heiß. „Wir wollen deutlich Position beziehen und erreichen, dass alle Kinder die gleichen Chancen haben.“
Dass das oft nicht der Fall ist, zeigt die Geschichte der Praktikumssuche einer der Jugendlichen mit muslimischen Wurzeln: „Sie hat sehr viele Bewerbungen geschrieben und war wirklich ehrgeizig, einen Platz zu finden“, berichtet Sissi Grasser, Mitarbeiterin im Bereich Jugendarbeit, „Als sie dann zu einem Vorstellungsgespräch in einem Kleiderladen in Elberfeld eingeladen worden ist und die Verkäuferin gesehen hat, dass sie ein Kopftuch trägt, ist ihr alles aus dem Gesicht gefallen.“
Ausreden wie „Das passt nicht in unser Bild“ oder „Das kommt mir nicht in den Laden“ seien gefallen. „Dinge, mit denen hellhäutige oder deutsch-aussehende Personen niemals Probleme haben. Nur verständlich, dass die Jugendliche danach innerlich gekocht hat und ihr Wuttränen in die Augen stiegen.“ Deutlich wird an dieser Geschichte auch: Rassistische Diskriminierung versperrt Lebens- und Bildungswege.
Alltagsrassismus ist nicht immer leicht zu erkennen, doch kann er sich auch deutlich in Form von Beleidigungen und herabwürdigenden Handlungen zeigen, wie auch bei Anisa (16): Sie ist 2014 nach Deutschland gekommen und musste in der Realschule wegen ihrer Hautfarbe und Religion extremes Mobbing erfahren. Nicht nur wollte niemand etwas mit ihr zu tun haben, auch fielen Äußerungen wie „Geh weg aus Deutschland“ oder „Du bist doch eh arm und lebst in Afrika auf der Straße“.
Die Beleidigungen waren so schmerzhaft, dass sie Selbstmordgedanken hatte. In der Gruppe der Alten Feuerwache fand sie Hilfe, Gemeinschaft und Menschen, die sich für sie und andere einsetzen. In der Gruppe lernen die jungen Leute, aufeinander aufzupassen und einander verbal beizustehen, vor allem, wenn es um Kinder geht. Und: Dinge nicht „#unkommentiert“ zu lassen.