90 Jahre in Wuppertal Freundschaftsläufer schlüpften durch den Eisernen Vorhang

Wuppertal · 1988 machten sich Läufer aus Wuppertal und Kosice auf den Weg in die Partnerstadt.

Unser Foto zeigt die Ankunft der Läufer im Oktober 1990. Über den Barmer Werth ging es zum Empfang auf dem Rathausvorplatz.

Foto: WZ/Kurt Keil

1988 - ein Jahr vor dem Fall der Mauer trennte der Eiserne Vorhang noch den Ostblock vom Westen. Und nur die größten Optimisten und Utopisten hatten eine Vorstellung davon, dass viele Grenzlinien innerhalb kürzester Zeit verschwinden würden. Einige laufbegeisterte Wuppertaler dachten schon damals über diese Grenzen hinweg und organisierten den ersten Freundschaftslauf von Wuppertal in die rund 1300 Kilometer entfernte Partnerstadt Kosice in der Slowakei. Ein Lauf, der weit mehr als nur eine beeindruckende sportliche Leistung war, sondern auf der politischen und diplomatischen Ebene einiges in Bewegung setzte. Hans-Dietrich Genscher, der ehemalige slowakische Staatspräsident Rudolf Schuster, damals Bürgermeister von Kosice, NRW-Ministerpräsident Johannes Rau und Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß halfen mit, Grenzen auf der Landkarte und in den Köpfen zu überwinden.

Es begann mit einer Trainingseinheit, die Wuppertals Langstrecken-Ass Christa Vahlensieck und Ultra-Langläufer Ernst-Andreas Ziegler gemeinsam absolvierten. „Im Spaß habe ich vorgeschlagen, dass wir doch in die Partnerstadt Kosice laufen könnten“, erinnert sich die 25-fache Deutsche Meisterin Christa Vahlensieck. Ihren Laufpartner hatte sie damit auf die Fährte gesetzt, die der damalige Leiter des Presseamtes hartnäckig verfolgte. Die Idee fand Zuspruch bei Deutschlands Chefdiplomaten und Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der es möglich machte, dass die Läufer auf einer ihrer Etappen die Grenze bei Furth im Wald bei geöffneten Schlagbäumen passieren durften.

Der Verfasser dieser Zeilen erlebte diesen historischen Moment der Grenzöffnung als Läufer und Berichterstatter mit. Im Niemandsland zwischen der Tschechoslowakei und Deutschland musste er allerdings von den anderen Läufern Abschied nehmen, da es für ihn zurück nach Wuppertal ging, wo die Redaktion den Bericht über die ersten Etappen eingeplant hatte. Und so erfuhren die Leser der WZ aus erster Hand, wie die Läufer durch die engen Maschen des Eisernen Vorhangs geschlüpft waren.

„Der erste Freundschaftslauf war das Beste, was ich in meiner sportlichen Laufbahn erlebt habe, obwohl es kein sportlicher Wettkampf war“, sagt Christa Vahlensieck. Für die Topläuferin war die körperliche Belastung des Stafettenlaufs kein Problem. „Wir sind abwechselnd Streckenabschnitte von 20 bis 28 Kilometer Länge im Tempo von fünf Minuten pro Kilometer gelaufen. Alfred Howad, der langjährige Vorsitzender des Wuppertaler Freundeskreises Kosice, hatte das perfekt organisiert“, sagt Ernst-Andreas Ziegler, der bei einer hügeligen Etappe im Spessart an der Seite des slowakischen Top-Läufers Pavol Madar seine Zähigkeit unter Beweis stellen musste.

Der Star im Freundschaftslauf-Team war ein Mann, der wegen seines Laufstils und seiner Lebensgeschichte längst Legende war: Emil Zatopek lief in Begleitung seiner Frau Dana zwar nur einige kurze Abschnitte mit, aber seine Anwesenheit öffnete den Freundschaftsläufern an jedem Etappenort die Herzen und Türen. Im Begleitbus erzählte Zatopek mit viel Humor von seinen rabiaten Trainingsmethoden sowie von den Folgen des Prager Frühlings, als aus dem Major ein Geologe wurde. So umschrieb Zatopek seine Verbannung aus der Armee zum Straßenbau. „Fisch schwimmt, Vogel fliegt und Mensch läuft“, brachte er sein bewegtes Leben auf den Punkt. Dass er und seine Frau den von vielen Menschen umjubelten Lauf durch die damalige Tschechoslowakei nicht miterleben durften, hatte politische Gründe. „Zatopek war wegen seiner Rolle im Prager Frühling von den Kommunisten noch nicht vollständig rehabilitiert. Emil und Dana wurden nach Prag eingeladen, weil es ganz plötzlich einen Orden an sie zu verleihen gab“, sagt Ziegler.

Doch nicht nur auf dieser Seite der Grenze gab es politische Störmanöver. „Die Bürgermeister der Gemeinden im Bayerischen Wald fürchteten Proteste der Vertriebenenverbände wegen der vermeintlichen Annäherung an das kommunistische System und hätten uns am liebsten ignoriert. Für uns hat sich Johannes Rau bei seinem Amtskollegen Franz-Josef Strauß stark gemacht - und Strauß hat die Dinge schnell geregelt“, sagt Ernst-Andreas Ziegler, der gerade erst beim Friedensmarathon in Kosice den Halbmarathon gelaufen ist. „Meinem Freund Pavol Madar habe ich zu verdanken, dass ich laufen konnte. Der ist Physiotherapeut und hat mich fit gemacht“, so Ziegler.

Christa Vahlensieck, die den Friedensmarathon in Kosice fünfmal gewonnen hat, macht seit Jahren in der Slowakei Urlaub. „Wir haben viele Freunde dort - und viele Kontakte haben wir über den Freundschaftslauf geknüpft.“

2020 wird das 40-jährige Bestehen der Städtepartnerschaft mit Kosice gefeiert. Der Freundschaftslauf, der 1990 und 1998 eine Neuauflage erlebte, hat Impulse für weitere Verbindungen gegeben - so für die Partnerschaft beider Universitäten. 2003 wurden in den Ronsdorfer Anlagen zwei Kaiserlinden gepflanzt. Eine erinnert an Alfred Howad - die andere an Emil Zatopek, der seit dem Freundschaftslauf mit Wuppertal als Freund verbunden war.