Bergische Universität „Die Biotech-Firmen haben nicht die Zeit, Virusvektoren zusammenzubauen“

Forschung ist überlebenswichtig. Das ist uns spätestens seit der Pandemie klar, die unser Leben seit gut einem Jahr einschränkt. Eine Schlüsselaufgabe kommt dabei der Ribonukleinsäure (RNA) zu.

Gegen Corona werden erstmals RNA-Impfstoffe erprobt.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Forschung ist überlebenswichtig. Das ist uns spätestens seit der Pandemie klar, die unser Leben seit gut einem Jahr einschränkt. Die Informationsflut ist dabei überwältigend, und gerade die schnelle Suche nach Antworten stellt eine nie dagewesene Herausforderung für die Wissenschaft dar.

Eine Schlüsselaufgabe kommt dabei der Ribonukleinsäure (RNA) zu, deren wesentliche Funktion die Umsetzung genetischer Information in Proteine in der biologischen Zelle bedeutet. Der Wuppertaler Zellbiologe Prof. Dr. Martin Simon leitet seit 2018 die Fachgruppe Molekulare Zellbiologie und Mikrobiologie in der Fakultät Mathematik und Naturwissenschaften an der Bergischen Universität. Er erklärt deren Aufgabe so: „Die RNA ist ähnlich wie die DNA aufgebaut. Die DNA ist unser konservatives Erbmaterial, sie ist stabil im Zellkern und in doppelter Kopie vorhanden, um ein Backup zu erstellen. Die RNA ist quasi ein Vermittler.“

Die RNA stelle sozusagen eine Abschrift der DNA her, deren Information dann ins Protein übertragen werde. Der Code der Basenabfolge werde dadurch in den Code der Aminosäureabfolge übersetzt. Der Mechanismus der sogenannten Proteinsynthese ist seit langem bekannt. „Aber diese Funktion hat eine komplette Neubeschreibung erfahren“, so Simon, denn seit gut 20 Jahren habe man viele neue Klassen von Ribonukleinsäuren identifiziert, die einen regulatorischen Effekt hätten, durch den sie Gene an- und ausschalten könnten.

 „Heute sind wir an einem Standpunkt angekommen, wo wir RNA als eine extrem variable Substanz erfahren oder erkennen. Sie ist viel wandelbarer als die DNA und sie hat viel mehr Funktionen, denn sie kann regulieren, anschalten und abschalten. Sie stellt eigentlich die Software des Genoms dar.“

Gegen Corona werden erstmals RNA-Impfstoffe erprobt. Dabei wollen Mediziner ihren Patienten ein kleines Stückchen RNA spritzen, das in den menschlichen Zellen die Produktion des Antigens von Sars-CoV-2 auslöst. „Es ist ein eleganter Mechanismus“, beschreibt der Wissenschaftler den Ablauf, denn „im Prinzip ist der Vorgang dieser Immunisierung, dieser Impfung, derselbe, wie bei allen Impfstoffen, nur, dass man hier kein Protein injiziert, sondern man injiziert eine Boten-RNA.“

Andere Impfprinzipien beruhen auf viralen Vektoren, welche Erbgut, also DNA oder RNA in unsere Zellen  bringen, und das spare man sich jetzt. Der große Vorteil sei dabei, dass die Entwicklung schneller gehe. „Das ist genau das, was wir jetzt in der Coronasituation brauchen, die Biotech-Firmen haben nicht die Zeit, lange Virusvektoren zusammenzubauen, gegen die wir dann immunisiert werden.“

Aus Sorge um Langzeitschäden an unserer DNA unterstützen nicht alle Wissenschaftler den schnelleren Weg in der Pandemiezeit. Simon spricht aus heutiger Sicht über eine geringe Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen: „Es gibt noch keine Daten dazu. Aber wie bei jedem Impfstoff muss man zwangsläufig auch die Risiken gegen die Vorteile abwägen. Das ist die ewige Diskussion, wenn eine neue Technik kommt. In dem Fall, gerade bei der Bedrohung, die wir jetzt mit Corona sehen, müssen wir das auf jeden Fall angehen. Ich hätte jetzt auch keine Bedenken, mich damit impfen zu lassen.“

Simon: „Jeder Virusbefall verändert unsere Zellen im Prinzip genetisch, weil das Virus sein Erbgut unserem hinzufügt“ sagt er und erklärt es anhand des Herpesvirus. „Etwa 80 Prozent der Bevölkerung ist herpesinfiziert. Wir haben alle diesen Virus in uns und er hat sein Erbgut unserem hinzugefügt. Dies ist zwar nicht direkt in unser Genom integriert, aber man kann das als genetische Veränderung bezeichnen. Auch jeder Grippevirus produziert seine eigenen Proteine in unserem Körper, er bringt dazu seine RNA in unsere Zellen ein. Er benutzt uns wie alle Viren als Wirt.“

Der Begriff der Genmanipulation wird von vielen Menschen als unnatürlich empfunden, steht doch oft die Absicht dahinter, gezielte Veränderungen herbeizuführen oder neue Kombinationen von Erbanlagen zu entwickeln. Die Möglichkeiten der Veränderungen des Genoms bei Pflanzen, Tieren oder Menschen sind dabei vielfältig. Eine 2020 nobelpreisgewürdigte Methode, könnte zukünftig dabei völlig neue Wege in der Krebstherapie einleiten.

Die beiden Wissenschaftlerinnen Emanuelle Charpentier vom Max-Planck-Institut in Berlin und ihre amerikanische Kollegin Jennifer Doudna entwickelten mit der sogenannten Genome-Editing-Methode Crispr/Cas9 zum ersten Mal die Möglichkeit, ein Genom gezielt zu verändern. „Das Crispr Cas-System spezifiziert einfach eine enzymatische Aktivität, in dem es sie an einen bestimmten Platz im Genom zieht“, erklärt Simon. Normalerweise arbeiten Nukleasen (Gruppe von Enzymen) unspezifisch, das heißt, sie setzen an der DNA an und schneiden wahllos alles klein. „Das Crispr Cas-System funktioniert so, dass es eine Nuklease gibt, die über ein kleines RNA-Molekül spezifiziert wird. Und dieses RNA-Molekül bindet an die DNA und sagt: ,Schneide hier und sonst nirgends!’ Das ist der Trick dabei.“

Die Vielfalt der potentiellen Anwendungen gründe auf der Tatsache, dass mit diesem technisch nutzbar gemachten Verfahren, einzelne Stellen im Genom gezielt verändert werden können. „Ähnlich wie in einem Text kann ich Buchstaben entfernen, hinzusetzen oder verändern“, erklärt Simon. „Das ist ein Prozess, der die Forschung extrem beschleunigt, auch die medizinischen Anwendungen, die sich daraus ergeben.“

„Wir alle werden einen großen Nutzen durch die Crispr Cas-Technologie erleben, weil es das Werkzeug der Zukunft in der Krebstherapie sein wird“, klärt Simon auf. Man könne anders an den Krebs oder auch an andere Krankheiten herankommen.