Das Amtszimmer mit Harem-Optik

Ende der 90er Jahre ließ sich die Bauverwaltung im großen Rahmen bestechen. Ein Skandal mit einem bezeichnenden Foto.

Foto: Kurt Keil

Wuppertal. Manche Fotos fassen eine ganze Dekade zusammen. So ein einzigartiges Lichtbild schoss unser WZ-Fotograf Kurt Keil im Oktober 1997 im Elberfelder Rathaus. Es zeigt das sogenannte Haremszimmer. Der Baldachin, der von der Decke hängt, erzählt die Geschichte von eintausend und einem Korruptionsfall. Das Foto von diesem sagenumwobenen Zimmer ist einmalig. Kurz nachdem es in der WZ veröffentlicht wurde, verschwand das Zimmer, in dem sich — so hat sich der Film tausendfach in den Köpfen der Wuppertaler abgespielt — korrupte Mitarbeiter der Bauverwaltung getroffen haben, um krumme Geschäfte hinter verschlossener Türe auszuhandeln.

Bilder erzählen Stadtgeschichte

Fest steht: Mehr als 650 Menschen standen im Verdacht, die Hand aufgehalten zu haben. Der Schaden hat sich auf umgerechnet mehr als sieben Millionen Euro summiert. Gezahlt haben vor allem mittelständische Handwerker. Solche waren es auch, die ein Besprechungszimmer mit ein wenig wallenden Stoff in ein Sinnbild der Anrüchigkeit verwandelt hatten.

„Es ging schon vorher das Gerücht herum, dass es dieses Zimmer gibt. Aber Genaues war erst nicht herauszukriegen“, erinnert sich Kurt Keil. Dann der Durchbruch: Am Abend bekommt die Redaktion den Tipp von einem Insider, dass das Zimmer aktuell geöffnet ist. Der Fotograf düst zunächst zum Barmer Rathaus, wo ihn der Pförtner nach Elberfeld schickt. Im dortigen Verwaltungssitz ist es wieder der Pförtner, der den Suchenden ans Ziel führt. „Eine gemütliche Ecke“, sagt Keil mit einem Augenzwinkern. Er drückt auf den Auslöser.

Das Bild schlägt ein wie eine Bombe: Am nächsten Tag will die überregionale Presse, inklusive mehrerer Fernsehteams, ebenfalls ins Haremszimmer. Doch bei der Stadt ist man sich offenbar der Tragweite bewusst. Der Raum ist so schnell wieder „entkleidet“, dass am Ende nur Kurt Keils Unikat als Lichtbildbeweis übrig bleibt.

Es folgen die Prozesse gegen die bestechlichen Stadtmitarbeiter. Besonders gegenüber den Beamten, die sich mit den eingesackten Geldern einen aufwendigen Lebensstil genehmigten, zeigen sich die Richter streng. Damals berichtet die WZ, dass mehrere hundert Jahre Gefängnis zusammenkommen. Die Juristen haben viel zu tun mit der Wuppertaler Angelegenheit: Neben Strafverfahren laufen Zivilprozesse und Nebenklagen im Hauptverfahren. Auf der Anklagebank sitzen Amtsmänner ebenso wie der Gerüstbauer von nebenan.

Am Ende holt sich die Stadt ein Drittel des Schadens zurück, mehr als zehn Millionen Mark. Einzelne Betriebe müssen mehr als 500 000 Mark berappen, so dass oftmals eine Ratenzahlung für viele Handwerksbetriebe der einzig gangbare Weg ist.

Die Ermittler lernen auch mehr über das ominöse Haremszimmer und seinen Besitzer. Es war das Dienstzimmer eines leitenden Mitarbeiters der Bauunterhaltung, der zuweilen in Uniform durch die Rathausgänge gewandelt sein soll — und dabei wohl gerne erzählte, dass er für einen Geheimdienst in Nahost arbeitet.

In den Verfahren kommen andere bizarre Details ans Licht: Bordellbesuche oder eine gratis Badezimmer-Renovierung — wer auf der Überholspur bauen wollte, musste kreativ werden. Und dann war da noch die „Ponderosa“. In der Hoffnung auf lukrative Aufträge gab ein Handwerker einem Beamten 80 000 Euro. Dieser rüstete mit dem Schmiergeld in Radevormwald ein idyllisches Anwesen zum Pferdehof um. Außerdem kaufte sich der Beamte in Norddeutschland einen Deckhengst, der jedoch — auch das kam im Prozess ans Licht — seiner Aufgabe nicht gerecht wurde.