Das könnten Wuppertals Politiker von den Profis lernen
Die Inhalte sind gleich wichtig. Doch Bundespolitik lockt mehr Menschen als Kommunalpolitik.
Politikverdrossenheit, Wahlmüdigkeit — wenn sich diese Phänomene so äußern wie in den vergangenen beiden Wochen in Wuppertal, dann besteht kein Grund zur Sorge um die Demokratie. Zumindest dann nicht, wenn sich Polit-Prominenz die Ehre gibt, vor dem Volk zu sprechen. So war es, als Kanzleramtsminister Peter Altmaier in einem Ronsdorfer Gemeindesaal die politischen Entwürfe der Christdemokraten entwickelte. So war es als der SPD-Kanzlerkandidat, Martin Schulz, am Mittwoch auf dem Laurentiusplatz redete. Und auch Sahra Wagenknecht von den Linken fand am selben Tag auf dem Willy-Brandt-Platz eine beträchtliche Zahl von Zuhörern.
Große Namen führen zu großem Publikum. Auch häufige Fernsehpräsenz zieht nach sich, dass Wähler Politiker einmal hautnah erleben wollen. Hinzu kommt, dass Politik aus dem Munde von Profis geschmeidiger ist. Wenn etwa Altmaier oder Schulz sprechen, klingen Vorwürfe und Problemlösungen mitunter so logisch, dass gar nicht auffällt, dass da zwei Menschen zum selben Thema Grundverschiedenes äußern. Deshalb ist ja auch immer jene Vorsicht geboten, die beispielsweise Sahra Wagenknecht entgegenschlägt, wenn sie ihre Version von der historisch vermeintlich unbelasteten Besserpartei in einer sozialistisch-gerechten Welt erzählt.
Nicht zuletzt dank einer freien, unabhängigen Presse in Zeitungen, Funk und Fernsehen sind die Zeiten zum Glück längst vorbei, in denen Politiker Wähler mit bunten Perlchen locken können. Der an Politik interessierte Bürger ist aufgeklärt. Er geht zu politischen Veranstaltungen, um entweder seine Meinung bestätigt zu bekommen, Argumente zu sammeln oder um sich den letzten Schubs zum Kreuzchen auf dem Wahlzettel geben zu lassen. Auf jeden Fall geht er hin. Ausdruck von Politikverdrossenheit ist das nicht. Der Bürger nimmt ganz im Gegenteil in Kauf, dass vieles von dem, was da angekündigt wird, den Weg in reale Politik nicht findet. Aber den Zuhörern reicht offenbar, Orientierung zu bekommen für den politischen Weg, den eine Partei gehen will.
Bei Altmaier, Schulz und Wagenknecht waren jetzt auch einige Kommunalpolitiker zu Gast. Sie haben artig mitgeklatscht, mitgejubelt, der eine oder andere himmelte den Star seiner Partei auch ziemlich unverhohlen an. Das ist nicht weiter tragisch, wenn davon der Lerneffekt nicht gestört wird, der dringend einsetzen müsste. Es ist offensichtlich möglich, Menschen für politische Themen zu interessieren. Es ist möglich, wenn Themen und Thesen im Brustton der Überzeugung, garniert mit dem richtigen Maß an Leidenschaft vorgetragen werden.
Seit etwa zwei Jahren ist der schon vorher nicht sonderlich lebhafte politische Diskurs in Wuppertal gänzlich eingeschlafen. Irgendwie scheinen sich alle nur noch ins Rathaus zu schleppen, auf die Uhr zu schauen in der Hoffnung, dass dieser Tag schnell vorübergehen möge. So zumindest schildern es Beobachter. Das ist nachteilig. Während nämlich Hunderte Martin Schulz zuhören, wie er Donald Trump beschimpft, den das vermutlich nicht juckt, wären in Wuppertal Themen zu besprechen, die fast jeden Menschen jeden Tag sehr persönlich betreffen. Und sei es nur, dass Wartezeiten in städtischen Ämtern elend lang oder Straßen löchrig oder Schultoiletten dauernd defekt oder Grünflächen schmutzig oder Fußgänger benachteiligt sind. Auch das ist Politik, allerdings Politik für den Alltag. Scheinbar nicht so „sexy“ wie Grundsatzfragen über Rüstung, Rente, Terror und Digitalisierung, aber mindestens ebenso wichtig.
Es gibt viel zu erklären und noch mehr zu besprechen. Wenn das ein bisschen überzeugend, garniert mit dem richtigen Maß an Leidenschaft geschieht, mit Interesse an und Respekt vor der Meinung des Anderen geschieht, bekommt die ehrenamtliche Kommunalpolitik den Stellenwert, der ihr zusteht, und kann in Wuppertal wieder über die Zukunft dieser Stadt diskutiert werden. Wie das mit Bundes- und Weltpolitik geht, haben die Wagenknechts, Schulzes und Altmaiers brillant vorgemacht.