„Das Verfahren in NRW reicht aus“

Zur Altersbestimmung unbegleiteter Flüchtlinge hält Dezernent Stefan Kühn medizinische Tests für überflüssig.

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Die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Wuppertal ist in den vergangenen Jahren von 400 auf 300 zurückgegangen. Unter den insgesamt 10 000 Flüchtlingen in Wuppertal bilden die Minderjährigen eine kleine Gruppe und werden in der Öffentlichkeit wegen ihrer dezentralen Unterbringung in Jugendwohngruppen kaum wahrgenommen. Seit den Bluttaten im rheinland-pfälzischen Kandel und in Darmstadt, bei denen junge Frauen Opfer von Messerattacken wurden, steht allerdings die Frage im Raum, ob die Behörden generell bei der Altersbestimmung junger Flüchtlinge nachlässig und sorglos vorgehen.

Die mutmaßlichen Täter in beiden Fällen sind Flüchtlinge, die älter sein sollen, als von ihnen selbst angegeben. Aus der Politik wurden daher Forderungen nach medizinischen Untersuchungen zur Altersbestimmung von Flüchtlingen laut. Die sind sowohl politisch als auch wissenschaftlich nicht unumstritten. Sozialdezernent Stefan Kühn bezeichnet das Verfahren, das in Wuppertal Jugendamt und das Ressort für Integration — wie andere Städte in NRW auch — gemeinsam zur Altersbestimmung anwenden, als ausreichend.

„Auf der Basis eines standardisierten Fragebogens findet die Befragung im Beisein eines Muttersprachlers statt. Der Dolmetscher ist aufgrund seiner Kenntnisse der kulturellen Hintergründe im jeweiligen Herkunftsland in der Lage, wesentliche Entscheidungshilfen zu geben. Antworten auf Fragen zum Alter der Eltern, zur Zahl der Geschwister sowie der Gründe der Flucht können so von den Mitarbeitern der Stadt als eher kindlich, jugendlich oder erwachsen eingestuft werden“, erklärt Stefan Kühn. Aus den Gesprächen ließen sich relativ sichere Schlüsse auf das Alter ziehen. Medizinische Untersuchungen wie die des Handwurzelknochens seien mit Schwankungen nach oben und unten von einem Jahr behaftet, sagt Kühn.

Die Zahl von neu ankommenden unbegleiteten Flüchtlingen tendiere gegen Null. Für Kinder und Jugendliche aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder aus Afrika (ein Schwerpunktland ist Guinea) sei es inzwischen fast unmöglich, alleine nach Deutschland zu kommen. Das sah 2014 und 2015 noch anders aus, als die Stadt fast täglich Kinder und Jugendliche, deren Flucht vor Krieg und Zerstörung in Wuppertal endete, am Hauptbahnhof einsammeln musste.

Die Kosten für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling beziffert die Stadt auf rund 60 000 Euro pro Jahr. Der finanzielle Aufwand ist etwa sechsmal so groß wie für andere Flüchtlinge. „In manchen Herkunftsländern beginnt das Erwachsenenalter nicht mit 18, sondern erst mit 21 Jahren“, sagt Hartmut Teichmann, Teamleiter Ausländerbüro. Der besondere Schutzanspruch, den ein minderjähriger Flüchtling genieße, verfalle nicht automatisch mit dem Eintreten der Volljährigkeit. Der aufenthaltsrechtliche Status sei abhängig von den Integrationsleistungen in der Schule oder in der Ausbildung. Die Jugendlichen werden von Vormündern betreut, diese Betreuung und auch die der Jugendhilfe kann über das 18. Lebensjahr hinaus andauern.

Für straffällig gewordene minderjährige Flüchtlinge gelten allerdings die gleichen gesetzlichen Bestimmungen wie für andere minderjährige Jugendliche. Laut Angaben der Stadt sind 18 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge von insgesamt rund 550 in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden. „Das sind aggressive Handlungen, wie sie in jeder Jugendwohngruppe vorkommen, wo Jugendliche aufeinander treffen, die einen Teil ihres Lebens auf der Straße verbracht haben. Das ist unabhängig von der Herkunft“, sagt Stefan Kühn. Gravierende Fälle wie in Kandel oder Darmstadt gibt es in Wuppertal nicht.

Alle Jugendliche, die in der Mehrzahl im Alter von 16 bis 17 Jahren nach Wuppertal gekommen sind, werden schon in einigen Jahren Erwachsene sein. Dann ist die Altersbestimmung kein Thema mehr. „Das wird sich mit der Zeit rauswachsen“, sagt Stefan Kühn.