Gastbeitrag „Der erste Weg zur politischen Partizipation“

Lehrer Silvio Geßner hat mit seinen Schülern die jüngste Ratssitzung am Bildschirm verfolgt.

Foto: Andreas Fischer

Politische Willensbildung und politische Partizipation sind einige der wünschenswerten Kompetenzen, die Schülerinnen und Schüler durch den sozialwissenschaftlichen Unterricht erlangen sollen. Den jungen Menschen muss Politik greifbar und erlebbar gemacht werden, um den homo politicus auszubilden. Wenn junge Menschen in einer Stadt leben, kann die Kommunalpolitik greifbar sein, da diese politischen Entscheidungen auch sie betreffen können. Gleichwohl bietet der sozialwissenschaftliche wie auch der Deutschunterricht die Gelegenheit, sich mit politischen Akteuren und ihrer Überzeugungsarbeit auseinanderzusetzen.

So kam mir die Idee, die Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe der Gesamtschule Else Lasker-Schüler damit zu beauftragen, sich das Wuppertaler Rats-TV vom 9. Juli anzuschauen, wobei es weniger um inhaltliche Aspekte gehen sollte, sondern mehr darum, wie sich die Ratsmitglieder an sprachlich-rhetorischen, paraverbalen, mimischen und gestischen Instrumenten bedienen, um ihre Thesen und Aussagen zu untermauern.

Mich erreichten bereits während der ersten 30 Minuten der Ratssitzung zahlreiche E-Mails: „Herr Schulz macht es am besten und wirkt dadurch sehr kompetent und am überzeugendsten. Er nutzt paraverbale und mimische Instrumente und drückt sich kompetent und gleichzeitig verständlich aus.“ — „Herr Müller von der CDU schaut beängstigend aus und wirkt irgendwie zu träge.“ — „Herrn Dr. Kühn blickt man sehr sympathisch entgegen. Seine klaren Worte sind verständlich und er tritt den anderen Ratsmitgliedern respektvoll gegenüber.“ — „Claudia Bötte von Pro NRW schafft es nicht zu überzeugen. Sie liest alles ab und erzeugt dadurch den Eindruck, als würde sie unvorbereitet an der Ratssitzung teilnehmen.“ — „Herr Sander von den Linken strahlt Kompetenz aus. Er wählt wohlgeformte Worte und benutzt paraverbale Instrumente, um seine Argumente darzustellen. Sein Parteikollege Zielezinski hingegen ist sehr monoton und man hört ihm nicht gerne zu.“ — „Der Oberbürgermeister ist ein Obermeister der Nebenkommunikation. Mal schwätzt er hier, mal schwätzt er dort und macht ab und an einen kleinen Witz. Dadurch schenkt er nicht vielen Rednern in den ersten 30 Minuten seine Aufmerksamkeit.“ — „Es stört, wenn er z.T. die letzten Sekunden der verfügbaren Redezeit herunterzählt. Aber sympathisch ist er.“ — „Frau Böth kenne ich noch, als sie im Rahmen der letzten Oberbürgermeisterwahl bei uns in der Schule war. Sie war damals sehr sympathisch, damals! Vielleicht liegt es aber auch am Rats-TV oder ihrer extravaganten Brille. Allerdings findet sie klare Worte und man möchte ihr Glauben schenken. War sie nicht mal Lehrerin?“ — „Wenn die Kamera mal ins Auditorium fährt, sieht man viele Ratsmitglieder der unterschiedlichen Parteien. Scheinbar sind viele von ihnen vielbeschäftigt, da ihre Blicke oftmals auf den Laptop oder das Handy gerichtet sind.“

Mit den Beobachtungen bin ich zufrieden. Einige der Schüler haben sogar Interesse bekundet, eine Ratssitzung direkt vor Ort anzuschauen. Andere hingegen haben Lust mitzumischen und möchten sich in den Ferien einmal mehr mit den Parteien beschäftigen.

Wenn ich es dadurch schaffe, dass sich meine Schülerinnen und Schüler politisch engagieren und partizipieren, dann schalten wir am 24. September wieder gemeinsam das Rats-TV ein. Denn der Wille etwas zu verbessern, ist der erste Weg der politischen Partizipation.

Bei aller Kritik darf man aber keinesfalls vergessen, dass sich die gewählten Bürgerinnen und Bürger im Rat der Stadt stark für die Kommune machen — freiwillig und für einen kleinen Obolus. Dafür muss auch mein ein großes „Danke“ locker gemacht werden.