Wirtschaft „Die E-Mobilität kann ein Jobwunder bringen“

Interview Wirtschaftsförderer Stephan A. Vogelskamp über Chancen und Risiken für Automobil-Zulieferer und über autonomes Fahren.

Stephan A. Vogelskamp setzt sich für die bergischen Automobil-Zulieferer ein.

Foto: Christian Beier

Herr Vogelskamp, das Städtedreieck erhält für Projekte im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren von der Europäischen Union und dem Land NRW 15 Millionen Euro. Was wird mit dem Geld konkret gemacht?

Stephan A. Vogelskamp: Zum einen entwickeln wir eine neue Fahrzeug-Grundarchitektur, was die Elektronikkomponenten angeht. Für das automatisierte Fahren gibt es noch keine Komponenten, die für eine Serienfertigung geeignet sind. Wenn wir zum Beispiel automatisiert fahrende Quartiersbusse haben wollen, müssen wir die elektrische Versorgung der Fahrzeugkomponenten neu organisieren. Die Grundstruktur heutiger Fahrzeuge stammt noch aus den 1960er-Jahren. Der Kabelbaum ist eine der teuersten und schwersten Komponenten im Fahrzeug. Wenn jetzt noch Funktionen für das automatisierte Fahren hinzukommen, dann ist das mit den heutigen Methoden nicht mehr an Bord unterzubringen. Es wird zu schwer und viel zu teuer. Also bauen wir eine neue Architektur.

Es gibt zwei weitere Themen bei dem geförderten Projekt.

Vogelskamp: Richtig. Der zweite große Bereich sind die Möglichkeiten, wie die Umwelt mit dem Fahrzeug kommunizieren kann. Das brauchen wir, damit das Fahrzeug nicht anhalten muss, wenn das Mobilfunknetz ausfällt. Die Frage ist, wie wir vorhandene andere Möglichkeiten nutzen – Verkehrsschilder, vernünftige Fahrbahnmarkierungen und 3-D-Geodatensysteme, die in den Städten oft schon vorhanden sind. Bei diesem Baustein sind die Kommunen stark engagiert. Bei der Praxisanwendung von selbstfahrenden Bussen kooperieren wir mit den Wuppertaler Stadtwerken. Beim letzten großen Bereich geht es darum, was wir aus den gewonnenen Erkenntnissen lernen und welche weiteren Entwürfe man entwickeln kann. Es gibt viele Unterprojekte. Darum ist die Förderung so hoch.

Diese Dinge werden alle im Bergischen Land entwickelt?

Vogelskamp: Dieses Projekt findet nur im Bergischen Städtedreieck statt. Dies geschieht an der Bergischen Uni, in den drei Stadtverwaltungen, bei der Neue Effizienz GmbH, den Wuppertaler Stadtwerken, der Bergischen Gesellschaft und der Firma Aptiv als großem Industriepartner.

Kommen wir zur Elektromobilität. Unter Mitarbeitern der Automobil-Zulieferbranche gibt es Ängste, dass Arbeitsplätze in bergischen Betrieben wegfallen könnten. Können sie das nachvollziehen?

Vogelskamp: Natürlich. Das ist in vielen Fällen auch nicht unbegründet. Wir müssen aber auch sehen, dass durch die E-Mobilität viele neue Bereiche mit neuen Jobs entstehen werden. Ich glaube, wenn wir die Elektromobilität vernünftig auf den Weg bringen, hätten wir sogar ein Jobwunder.

Was müssen die Betriebe tun, um zu einem Jobwunder beizutragen?

Vogelskamp: Man muss sich natürlich anschauen, in welchen Komponentengruppen man als Automobilzulieferer unterwegs ist und ob die in einem elektrifizierten Fahrzeug überhaupt noch gebraucht werden. Wenn die Komponenten nur modifiziert werden müssen – Türen werden zum Beispiel immer gebraucht, müssen aber einen anderen statischen Aufbau erhalten, Sitze müssen leichter werden –, dann muss man sich darauf einstellen. Das wäre ein überschaubarer Anpassungsprozess. Wenn Sie aber klassische Verbrennermotor-Komponenten herstellen, dann stellt sich die Frage viel radikaler. Da wird es Betriebe geben, bei denen eine Rettung nicht möglich sein wird. Solche Betriebe haben wir zum Glück aber nicht in unserer Region. Im Saarland brennt der Baum schon ganz anders.

Welche Hilfe erhalten Betriebe – zum Beispiel von dem von Ihnen mitbegründeten Cluster „Automotiveland NRW“?

Vogelskamp: Bei „Automotiveland NRW“ geht es um den Wissensaustausch. Es gibt aber auch Qualifizierungsmaßnahmen, zum Beispiel bei der Gewerkschaft IG Metall. Die können auf einzelne Jobs bezogen stattfinden. Aber ich glaube, es ist schon vor allen Dingen auch eine Umsteuerungsaufgabe der jeweiligen Geschäftsführungen, frühzeitig zu sehen, wo in Zukunft das strategische Arbeitsfeld liegt.

Sie sind als Wirtschaftsförderer viel unterwegs und sprechen mit vielen Akteuren der Branche. Ist die Elektromobilität die wichtigste Fahrzeugtechnik der Zukunft?

Vogelskamp: Ich glaube, E-Mobilität ist schon die Mobilitätsform der Zukunft. Je nach der Größe der Fahrzeuge wird sie unterschiedlich aussehen - bei einem Pkw anders als bei Bussen oder Straßenbahnen. Aber Elektrifizierung wird es überall geben. Ob das immer batteriebetrieben ist, oder ob wir mehr Elektromobile mit Wasserstoffantrieb sehen, das ist noch eine offene Frage.

Was muss sich bei der Infrastruktur tun?

Vogelskamp: Wir planen für Dezember eine Veranstaltung, bei der wir verschiedene Interessengruppen wie Wohnungsbaugesellschaften, Stadtentwickler, Energiedienstleister, Carsharing-Anbieter und andere Fachleute zu Wort kommen lassen. Es geht um die Frage, was die größten Treiber und welches die größten Barrieren für die Elektromobilität sind. Uns treibt vor allem eine Sorge um: E-Fahrzeuge werden von Kunden nur dann gekauft, wenn sie das Gefühl haben, dass sie die Autos auch laden können. Diese Sicherheit haben die Leute noch nicht. Darum treiben wir diese Sache voran. Wenn die großen Konzerne jetzt auf Elektrofahrzeuge setzen, diese aber nicht verkauft werden, dann wird das auch unsere bergische Zuliefer-industrie treffen. Hier fordern wir eine bundesweite Strategie.