Uwe Becker – Begrabt mein Herz in Wuppertal Die Erotik eines Gemüseeintopfes
Bis vor kurzem war Uwe Becker auch Koch.
Als die Kartoffelschalen in die hierfür ausgebreitete, ältere Zeitung fielen, stach mir der Artikel ins Auge. Ich unterbrach sofort meine Vorbereitungen für den Gemüseeintopf, den ich für den Abend vorbereiten wollte. Mit Bestürzung las ich, dass in Deutschland nicht mal mehr jeder Vierte seinen eigenen Herd benutzt. Mir ist schon aufgefallen, dass im Verhältnis zu früher viele Menschen nur noch ein geringes Wissen um Essen und Trinken auszeichnet. In weit zurückliegender Zeit betraf diese Unwissenheit nur die Männer, heute ist auch ein Großteil der Frauen ahnungslos, was die Zubereitung von Speisen betrifft. Das über Jahrhunderte hinweg weitergegebene Wissen der Mütter und Omas an ihre Töchter findet nicht mehr statt. Schuld an dieser Entwicklung sind natürlich die Macher vom Privatfernsehen (Smiley), Arbeitslosigkeit, eine allgemeine Verrohung der Bevölkerung (siehe Privatfernsehen), Fast-Food-Ketten und ein aufkommender Gourmet-Trend. Wohlhabende können sich den Besuch im Restaurant leisten, die Armen marschieren in die Döner-Bude. Heute können bereits viele Omas nicht mehr kochen. Daher sieht es mit den Kochkünsten ihrer Töchter, Söhne und Enkel auch schlecht aus. Ich habe gerade von Männern oft das Argument gehört, dass das Kochen als verlorene Zeit angesehen wird: „Man steht vier Stunden am Herd und dann isst man alles in fünf Minuten auf!“ Ich hatte einem den Rat gegeben, langsamer zu essen und beim Kochen nicht so zu trödeln. Diese Menschen bezeichnen ein längeres Vorspiel beim Sex wahrscheinlich auch als Zeitverschwendung, da der Orgasmus im Verhältnis dazu relativ kurz ist. Passend dazu werden tatsächlich schon Single-Appartements angeboten, die keinen Herd haben. Im Esszimmerchen stehen nur noch ein Kühlschrank mit Kühltruhe und eine Mikrowelle. Und im Besenschrank hängt eine Gummipuppe mit Blasebalg. Kochen, Essen und Trinken hat für mich etwas mit Erotik zu tun.
Bis vor wenigen Monaten habe ich auch noch als Koch gearbeitet. Für mich zieht sich die Herstellung von Speisen wie ein roter Faden durch mein Leben. Mir gefällt es, wenn sich Liebende gegenseitig füttern. Bereits im Alter von drei Jahren habe ich bei meiner Oma in der Küche mein erstes Hühnerei gekocht. Während des Vorgangs saß ich auf ihrem Schoß und wartete ungeduldig. Als das Ei fertig war, wollte ich es direkt anfassen. Ich verbrannte mich natürlich. Meine Großmutter führte meinen schmerzenden Daumen und Zeigefinger an mein Ohrläppchen, und siehe da, der Schmerz war weg. Ein Wissen, welches mir später ab und an dienlich war.
Als ich zur Schule ging, gab es noch keine Ganztagsbetreuung. Die Ganztagsbetreuung hieß Lydia Zimmermann. Es war meine Großmutter. Meine Eltern arbeiteten ganztägig. Unsere Oma kochte die ganze Woche. Am Wochenende hatte sie frei. Mein Vater brachte meine Oma jeden Abend mit seinem VW-Cabriolet nach Hause. Im Sommer natürlich mit offenem Dach. Frau Zimmermann fand das wunderbar. Wir wohnten an der Heckinghauserstraße, sie auf dem Ölberg. Wenn sie aus dem Auto stieg, hielt mein Vater ihr elegant, wie ein Gentleman, die Wagentüre auf. Ihre Nachbarin, Frau Kiese, schaute am Fenster und winkte. Meine Oma rief dann: „Mein Schwiegersohn!“ und zeigte auf meinen Vater. Frau Kiese antwortete stets: „Ich weiß, Frau Zimmermann!“ Morgens kam die rüstige Schwiegermutter meines Vaters mit der Schwebebahn zu uns. Wir Kinder waren dann schon in der Schule, meine Eltern bei der Arbeit.
Unsere Großmutter machte den besten Möhreneintopf der Welt. Mit Hammelfleisch. Der Kohleintopf mit ausgelassenem Speck war auch Weltklasse. Mein Bruder und ich konnten früh viele Gerichte selber kochen. Hierzu muss man erwähnen, dass mein Vater, der als Kind längere Zeit in Lüttich gelebt hatte, ein guter Koch war. Bereits Anfang der 1960er Jahre servierte er uns Kindern frittierte Kartoffeln mit selbstgeschlagener Mayonnaise nach Belgischer Art. Mein Urgroßvater hielt sich dagegen, so weit ich mich erinnern kann, vom Herd fern. Er vertrat aber die Ansicht: „Wer Tiere isst, sollte sie auch töten können.“ So musste ich dann, unter seiner Aufsicht, im Alter von sieben Jahren, einem Huhn den Hals umdrehen und eine Forelle erschlagen.