Geschichte Eine Bergische Tochter auf dem englischen Thron

Wuppertal · Die erste deutsche Königin Englands lebte auf Schloss Burg. Der Historiker Dr. Georg Eckert kennt ihre Geschichte.

  Dr. Georg Eckert.

Dr. Georg Eckert.

Foto: Uniservice Transfer

Im Spätherbst 1539 machten sich 263 Personen und 228 Pferde von Düsseldorf aus auf den Weg ins ferne England, um König Heinrich VIII. seine vierte Frau zu überbringen: Anna von Kleve. Hierzulande fast vergessen, zeichnet die Herzogin von Jülich-Kleve-Berg eine Eigenschaft besonders aus. Sie war die erste Königin auf dem englischen Thron, die aus dem heutigen Deutschland stammte – und bis heute die einzige aus dem Bergischen Land. Dr. Georg Eckert, Historiker   der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität, kennt ihre Geschichte und vor allem die Umstände, die die Bergische Tochter auf die Insel führten.

Viel ist über die Herzogin nicht überliefert. Aber „wir wissen, sie war für ein halbes Jahr englische Königin, wir wissen, sie war die zweitälteste Tochter eines im Reich und in ganz Europa wichtigen Akteurs, Johanns III., Herzog von Jülich-Kleve-Berg. Die Herzöge von Jülich-Kleve-Berg hatten eine konfessionelle und politische Schlüsselposition im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation“, erklärt Eckert und fährt fort, „das Herzogtum rahmte das katholische Erzbistum Köln und grenzte an die reformierten späteren Niederlande. Und es lag am Rhein, also entlang eines strategisch wie ökonomisch zentralen Stromes“.
Geboren 1517 in Düsseldorf, verbrachte Anna von Kleve große Teile ihrer Kindheit und Jugend auf Schloss Burg in Solingen. Unter der Obhut ihrer Mutter, Maria von Berg, genoss sie eine eher konventionelle Erziehung, in die noch kaum Ideale der Renaissance eingeflossen waren; Sprachen, die Bildenden Künste oder Musik spielten dabei kaum eine Rolle, auch höfischer Tanz nicht. Umso erklärungsbedürftiger, warum ein so kunstsinniger und weltgewandter Monarch wie Heinrich VIII. sein Interesse an Anna anmeldete: „Da spielt die Herkunft wieder eine entscheidende Rolle“, klärt Eckert auf, „wir bewegen uns in der dynastischen Heiratspolitik. Politische Bündnisse wurden durch Heiraten zwischen großen europäischen Adelsfamilien arrangiert und bekräftigt. Das sieht man bei Anna von Kleve ganz gut“.

Die Heiratspläne zeigten die enorme Bedeutung des damaligen Herzogtums Jülich-Kleve-Berg: „Eigentlich war Anna von Kleve bereits im Kindesalter dem französischen Herzog Franz I. von Lothringen versprochen. Ihre ältere Schwester Sibylle war mit dem Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen verheiratet. Das ist gewissermaßen Champions League in den Heiratsverbindungen“, sagt Eckert, der als Privatdozent Neuere Geschichte lehrt. „Heinrich VIII. brauchte damals starke Verbündete, aber das war nach der Hinrichtung seiner zweiten Frau, Anne Boleyn, einigermaßen problematisch.

Der englische König suchte nach mächtigen Bündnispartnern, um sich gegen die gerade entstehende Allianz zwischen dem König von Frankreich und den Habsburgern zu behaupten, die nach der Annullierung der Ehe mit Katharina von Aragon ohnehin schlecht auf Heinrich zu sprechen waren – während Annas älterer Bruder, Herzog Wilhelm V., seinerseits das soeben ererbte Herzogtum Geldern gegen Kaiser Karl V. behaupten wollte. Hier überschnitten sich die Interessen.

Als einzige Person aus dem Bergischen Land ruht Anna von Kleve bis heute in Westminster Abbey, der englischen Königskirche, in der die meisten englischen Herrscher bestattet sind; das Anne-of-Cleves-House nahe Lewes in der Grafschaft East Sussex zeigt Mobiliar und Ausstattung der Zeit. „In Großbritannien ist die Erinnerung an diese Frau präsent. Überall da, wo Heinrich und seine sechs Frauen vorkommen, da denkt man eben auch sofort an Anna von Kleve.“