Eine tiefe Verbeugung zu Kamiokas Abschied
Der japanische Dirigent lebt für die Musik — ein Segen fürs Sinfonieorchester, aber nicht die beste Voraussetzung für einen Opernchef.
Wupeprtal. Toshiyuki Kamioka hatte sich alle Abschieds-Festlichkeiten verbeten, ganz drumherum gekommen ist er nicht. Oberbürgermeister Andras Mucke (SPD) nutzte am Montag um kurz vor 22 Uhr den anhaltenden Jubel nach Brahms’ Erster Sinfonie, um mit Kulturdezernent Matthias Nocke auf die Bühne der Stadthalle zu kommen. Zwölf Jahre hat Kamioka dem Sinfonieorchester vorgestanden und es zu Brillanz, höchster Präzision und Vielfalt geführt — das sollte nicht völlig sang- und klanglos auslaufen.
Mucke sagte: „Ich verneige mich vor einem großen Künstler“, tat es dann tatsächlich und dankte dem japanischen Dirigenten „für zwölf Jahre herausragende künstlerische Arbeit“. Als Abschiedsgeschenk hatte er eine Flasche Wein mitgebracht. Weitere Gaben, etwa in Form einer Abfindung, bekommt Kamioka laut Bühnen nicht, da er seinen Vertrag zum 31. Juli 2016 im Einvernehmen mit der Stadt aufgelöst hat.
Es war mit Bachs „Musikalischem Opfer“ im Arrangement von Anton Webern, Mozart und Brahms ein bewegendes letztes Konzert, zu dem auch Kamiokas Nachfolgerin Julia Jones angereist war. Ein Abschied, der wohl auch dem 55-Jährigen nahe ging, denn im Jubel- und Beifallssturm hielt er es nicht lange am Dirigenten-Pult aus.
All die Jahre ist Kamioka ein Publikumsliebling gewesen, hat die Konzertbesucher allein mit seinem Dirigat und seiner flinken Gestik gewonnen — denn gesprochen hat er nie. Als er 2004 anfing, waren die Sinfoniekonzerte mittelprächtig besucht. Er hat den Zuspruch mehr als verdoppelt. Denn kühn hat er aus einem Programm zwei Konzerte gemacht (immer am Sonntagvormittag und Montagabend), die bestens angenommen werden.
Toshiyuki Kamioka lebt in der Musik und für die Musik — das war ein Segen fürs Sinfonieorchester, ist aber nicht die beste Voraussetzung für einen Opernchef.
Den Musikern erläutert er in den Proben Takt für Takt, wie er sich ein Stück vorstellt. Im Konzert unterstützt er sie lebhaft mit Gestik und Mimik. Zugleich ist er so feinfühlig, dass er auch mit dem Rücken zum Orchester weiß, was sich in jeder Instrumentengruppe abspielt. Sein liebstes Spielfeld sind die Tempi — er verstärkt konsequent sowohl die langsamen als auch die schnellen. Das sprengt die Norm, das löst natürlich Diskussionen aus, macht die Musik vergangener Jahrhunderte aber wieder spannend und anrührend.
Auf dem Höhepunkt seiner Popularität machte der damalige Oberbürgermeister Peter Jung (CDU) den Generalmusikdirektor 2014 auch zum Opernintendanten. Kamioka agierte allerdings von vornherein glück- und einfallslos. Auf den Spielplan setzte er die bekannten Opern-Hits. Als erste deutsche Großstadt verzichtete Wuppertal auf ein Sänger-Ensemble und bestritt den Blockbetrieb mit — immerhin ausgezeichneten — Gastsängern.
Die Kritik riss nicht ab. Die erste Saison des neuen Intendanten war nicht einmal halb gelaufen, da warf er schon das Handtuch. Womöglich wollte er nur einen Warnschuss abgeben, als er sagte, er werde seinen Vertrag, der eigentlich bis 2021 lief, auf jeden Fall bis 2016 erfüllen. Aber dafür war die Aufregung zu groß.
So waren die letzten eineinhalb Jahre vom zerrütteten Verhältnis zur Stadtverwaltung gezeichnet. Kamioka kam nur noch selten in sein Büro und stand noch seltener am Dirigenten-Pult — auch wegen der Probe-Auftritte seiner möglichen Nachfolger. Doch wenn er da war, wirkte sein musikalischer Zauber. Ein großer Dirigent verlässt die Stadt.