Eine Verhaftung, die als Befreiung wirkte

Der Autor Dogan Akhanli beschreibt in seinem jüngsten Buch, wie er seit Jahrzehnten die Willkür der türkischen Justiz erlebt hat.

Foto: Andreas Fischer

Mit einer berührenden Episode aus seiner Kindheit, in der seine Mutter und ein Wolf die Hauptrollen spielen, beendete Dogan Akhanli seine Lesung in der bis auf den letzten Sitzplatz gefüllten Buchhandlung von Mackensen am Laurentiusplatz. Akhanli wurde im August 2017 nach seiner Verhaftung in Granada und der ihm drohnenden Auslieferung aus Spanien an die Türkei unfreiwillig zur Person der Zeitgeschichte. Zum Kurzurlaub war er nach Spanien gereist und auf Betreiben der türkischen Justiz in Untersuchungshaft geraten. Der deutsche Staatsbürger Akhanli kam wieder frei — nach heftigen internationalen Protesten und einem Aufschrei des Entsetzens über den langen Arm der türkischen Regierung. Die macht bis heute auch in EU-Ländern Jagd auf vermeintliche Staatsfeinde.

Die sich überstürzenden Ereignisse im August des vergangenen Jahres hat Akhanli in seinem Buch „Verhaftung in Granada oder treibt die Türkei in die Diktatur?“ festgehalten. Die Schilderung des Schocks, der Tage der Angst und der Unsicherheit nach seiner Verhaftung setzt Akhanli in Beziehung zu seinen Erlebnissen als politischer Häftling in der Türkei 1975, 1985 bis 1987 und 2010. Die Einbindung des aktuellen politischen Skandals in seine Lebensgeschichte schildert er stellvertretend für politisch Verfolgte in Zeiten der Militärdiktatur oder der Repressalien unter Erdogan. Akhanli geriet bereits 1975 als junger Mann in die Mühlen der Justiz, wurde 1985 des Raubmordes und der Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung beschuldigt. Obwohl sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen, wurden sie Jahrzehnte später zur Grundlage für einen internationalen Haftbefehl, der in Spanien vollstreckt wurde.

Akhanli trägt die ihn prägende Erinnerung an seine mutige Mutter, die einen von Dorfbewohnern gefangenen „dürren, armseligen“ Wolf nicht als Ungeheuer, sondern als bedauernswertes Wesen behandelt, mit seiner sanften und leicht melancholischen Stimme ganz bewusst in seiner Muttersprache vor. Seine Mutter bewahrte den Wolf vor der „Lynchjustiz“ der aufgebrachten Dorfbewohner. Den Einsatz gegen das scheinbar Unabwendbare, Vorgezeichnete hat sich der Sohn zum Vorbild genommen. Seinem Vortrag folgt die deutsche Übersetzung — ebenso eindrucksvoll dargeboten von dem Wuppertaler Schauspieler Ralf Grobel, der die Schlüsselpassagen des Buches vorlas und dabei auch die humorvolle Seite des Autors zur Geltung brachte. Moderiert und musikalisch begleitet wurde die Lesung von dem Wuppertaler Musiker und Autor Ulrich Klan. Der schilderte, wie intensiv sich die Freunde des in Köln lebenden Schriftstellers im vergangenen Jahr für seine Freilassung eingesetzt hatten. Akhanli, der in seinen Büchern über den Völkermord an den Armeniern geschrieben hat — was bis heute als absoluter Tabubruch in der Türkei gilt — beschrieb in der anschließenden Diskussion seine Verhaftung in Spanien als befreiendes Erlebnis. „Das war nach der Haft 2010 in der Türkei anders, da konnte ich nicht mehr in türkischer Sprache schreiben. Aus der Haft in Spanien bin ich aber gestärkt hervorgegangen. Für mich persönlich sehe ich keine Gefahr mehr, das gilt aber nicht für alle Türken im politischen Exil. Meinen ersten Urlaub nach der Verhaftung habe ich wieder in Spanien verbracht“, verriet Dogan Akhanli verschmitzt lächelnd. Der Folter, dem Terror, der Justizgewalt und dem Verfall der Demorkatie in der Türkei setzt er Optimismus und seine leidvollen Erfahrungen entgegen. Er hat keine Angst: Weder vor dem dürren, armseligen Wolf - noch vor Erdogan.