Eldbjørg Hemsing begeistert mit Perfektion
Die berühmte norwegische Violinistin und das Junge Orchester NRW spielten unter Ingo Ernst Reihl in der Historischen Stadthalle.
Spätromantische Musik - wobei Epochenbezeichnungen immer etwas trügerische Schubladen sind - hat in seiner Wirkung Ähnlichkeiten mit süßlichem Sekt. Steigt sofort zu Kopf, euphorisiert, lässt einem auch mal melancholisch werden, schnell ist man im Delirium und hebt in himmelhochjauchzende Höhen ab. Eine Übersättigung kann zu bösem Erwachen führen. Wie der besagte Tropfen hat auch jene Musiksprache enthusiastische Freunde, aber auch genügend Verächter, denen das ganze doch zu süffig ist. Auf die Qualität kommt es an und wie beim Sekt ist bei den Werken in jenem Geiste, die teilweise bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts an dem Rezept der Vorväter festhielten, der eine oder andere Fusel dabei.
Ingo Ernst Reihl hat nun erneut mit seinem Jungen Orchester NRW, eindrücklich unter Beweis gestellt, dass er definitiv zu den unbeirrbaren Freunden dieser Musik gehört. In der Historischen Stadthalle ließ er dem vollen Klang freien Lauf. Trumpfte mit überbordendem Forte auf, suchte mit seinen Musikern von schwergewichtigem Blech getragene Klanggewalt. Reihl sieht sich zudem ganz offenbar in der Tradition Mahlers.
Das Orchester - bestehend aus begabten Schülern, Studenten und jungen Berufstätigen - spielt immer wieder die Werke jenes überragenden Meisters, wird nächstes Jahr seine 3. Symphonie zur Aufführung bringen. Reihl scheut sich nicht, wie sein Vorbild seinerzeit auch, in die Partitur der Werke einzugreifen. Beispielsweise Kürzungen, wie bei Ottorino Respighis Preludio, Corale e Fuga P.30, das den Auftakt des fulminanten Konzertes bildete - in dem schlicht große Teile der Fuge dem Strich zum Opfer fielen -, passen in das Bild.
Doch auch darüber hinaus, wie bei dem finalen Werk des Abends von Sergei Bortkiewicz - zu dem musikalischen wie interpretatorischen Juwel des Abends kommen wir noch - „unterstützte“ man mit manchem effektvollen Eingriff die Wirkung - Tamtam? Übrigens auch bei Respighi. Bortkiewicz (1877-1952), ukrainischer Komponist, der viele Jahre in Wien und Berlin verbrachte, mischte mit seiner Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 52, ein Cuvée - Jahrgang 1934 - aus zahllosen kompositorischen Vorbildern und übergoss es mit durchaus charmantem slawischen Sirup.
Doch das Werk, das mal nach Überleitungen aus Brahms- oder Dvoráksymphonien, mal nach Tschaikowski, zwischendurch durchaus schön gefügt klingend, hin und wieder sogar überrascht, ist unfassbar rückwärtsgewandt. Daran ändert seine kompositionstechnische Begabung leider nichts. Auch nicht die für ein nicht genuin professionelles Orchester beachtliche Leistung der Musiker.
Anders verhält es sich mit Henri Vieuxtemps (1820-1881) Violinkonzert Nr.4 d-Moll op. 31, womit wir nun zum Juwel kommen. Denn dieses virtuos funkelnde Werk wurde durch niemand geringeren als der Norwegerin Eldbjørg Hemsing zur Aufführung gebracht. Durch glückliche Umstände war es Reihl gelungen, die überragende junge Geigerin als Solistin zu gewinnen. Sie beeindruckte nicht nur mit einer makellosen technischen Perfektion, die sich jedoch nicht in kühlem Virtuosentum erschöpft, sondern zugleich durch unbändige Freude an melodischer Expression.
Die anspruchsvollen Passagen fliegen gleichsam leichtfüßig und energiegeladen vorbei. Man blickt zurück und staunt. Ihrer Gaudagnini von 1754 entlockt sie zu Herzen gehende Kantilenen, ohne jedoch jemals zu Überzeichnen. Das Orchester war ein sehr kraftvoller Begleiter; gelingen indes auch leise schimmernde Passagen, dank der lyrischen Sensibilität zahlreicher Orchestermusiker.