Schicksal Er überlebte einen 15-Meter-Sturz
Ein Unfall in der Kletterhalle änderte das Leben von André Bröcker. Nach 13 Wochen im Bett kämpft er sich wieder auf die Beine.
André Bröcker wacht im Krankenhausbett auf. Es ist Montag. Aber in seinem Gedächtnis gibt es keinen Sonntag. Der 23-Jährige hat nur einen Gedanken, bevor er wieder einschläft: „Es muss etwas ganz Schlimmes passiert sein.“
Was ihm geschehen ist, das weiß André Bröcker bis heute nur aus Erzählungen. Und aus der Zeitung. Am 15. April stürzte der Student im Wuppertaler Kletterzentrum Wupperwände aus 15 Meter Höhe ab. Dabei brach er sich alle Knochen in den Füßen. Nur die Zehen blieben heil. Seine Wirbelsäule brach zweimal, mehrere weitere Wirbel wurden durch den Aufprall gestaucht. „Die Ärzte haben mir gesagt, dass nicht klar ist, ob ich je wieder laufen kann“, sagt Bröcker. Sie sagten ihm aber auch, dass er Glück gehabt hat. Nicht jeder überlebt so einen massiven Sturz.
Unfälle in Kletterhallen sind selten. Häufig ist menschliches Versagen die Ursache. Bröcker muss davon ausgehen, dass auch in seinem Fall die Schuld an dem Unfall bei ihm selbst liegt. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mich beim Klettern in Gefahr begebe“, sagt Bröcker. Der erfahrene Kletterer habe in der Halle keinen Kick gesucht, im Gegenteil. Er habe immer Höhenangst gehabt und sich deswegen einmal zu Neujahr vorgenommen, etwas dagegen zu tun. So kam er schließlich zum Seil-Klettern und zum Bouldern.
Mindestens einmal in der Woche war Bröcker an Wuppertals Wänden anzutreffen. Wie auch am 15. April, als er mit einem Freund in der Halle war. Beim Abseilen aus 15 Meter Höhe löste sich plötzlich der Sicherheitsknoten des 23-Jährigen, so dass er ungebremst auf dem Boden aufschlug. Normalerweise prüfen Kletterer ihren Knoten nach, lassen ihn auf jeden Fall von ihrem Partner checken. Bröcker glaubt, dass er an dem Tag abgelenkt war. Vielleicht in ein Gespräch verwickelt. Vergessen hat, dass er sein Leben mit einem Knoten absichert. Bröcker sagt: „Das ist die Gefahr der Routine. Ich war so oft schon klettern — nie ist etwas passiert.“ Dem Betreiber der Halle macht der Student keinen Vorwurf. Dieser habe ihn sogar noch im Krankenhaus besucht und mit ihm über den Unfall gesprochen.
Die erste Woche nach dem Unfall litt André Bröcker an Depressionen und vermisste sein altes Leben. Dann begann er, für sein neues Leben zu kämpfen: „Das war wie eine Trotzreaktion: Ich lasse mich nicht unterkriegen.“ Der Weg zurück auf die Beine war lang und schmerzhaft. Bröcker wurde fünfmal operiert und lag fast 13 Wochen im Bett, die letzten fünf davon zu Hause. Mental geholfen habe ihm die Unterstützung von Familie und Freunden. Und das Buch von Samuel Koch, der junge Mann, der seit seinem Unfall bei „Wetten, dass...“ querschnittsgelähmt ist.
Der Durchbruch kam noch in der Klinik nach der jüngsten Operation, bei der das letzte Metall aus Bröckers Füßen entfernt wurde. Als er auf wackeligen Beinen seine ersten Schritte auf den Flur tat, habe das Krankenhauspersonal geklatscht. „Und die eine oder andere Krankenschwester hat schon eine Träne verdrückt“, erinnert sich Bröcker. Vor ein paar Tagen schaffte er seine ersten 100 Meter ohne Krücken. Ein Sommerspaziergang. „Das war schon ein tolles Gefühl“, sagt der Sportler.
André Bröcker blickt jetzt nur noch nach vorne. Ein Schritt nach dem anderen. Zurzeit absolviert er eine Reha in Essen. Im nächsten Semester will er wieder in seinen Studiengang „Nachhaltige Entwicklung“ in Bochum einsteigen. Und auch Klettern ist wieder angesagt. „Den Knoten werde ich dann wohl fünfmal überprüfen.“ Die größte Lektion, die Bröcker für sich mitnimmt, hat aber nichts mit dem Klettern zu tun: „Man darf sich nie aufgeben.“