Wuppertal Filigraner Dialog von Linie und Raum

Der Bildhauer Otto Boll stellt ab Samstag einen Ausschnitt seines langjährigen Schaffens in der oberen Halle des Skulpturenparks Waldfrieden aus.

Otto Boll und Tony Cragg (v.l.) in der Ausstellung in der oberen Ausstellungshalle des Skulpturenparks.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Sie passen gut zusammen, die filigranen, schwebenden Skulpturen aus Aluminium oder Stahl von Otto Boll und die luftige obere Ausstellungshalle des Skulpturenparks Waldfrieden von Tony Cragg. Besonders an diesen Tagen mit ihrem Licht und der tiefgrünen Natur. Dritter im Bunde ist der Betrachter, der ab kommenden Samstag in diese schwungvolle Welt mit ihren immer neuen Ansichten und Wahrnehmungen eintauchen kann. Am Donnerstag trafen Künstler und Gastgeber erstmals aufeinander – nachdem jeder für sich allein die Ausstellung genossen hatte. Eine Ausstellung, die begeistert, wenn sie in Ruhe mit offenen Augen und wortwörtlich durchschritten wird.

Er habe lange darauf hin gearbeitet, Boll auszustellen, weil er seine Kunst mit ihrem „phantastischen Schnitt durch die Realität“ spannend finde und sich schon als Student für die Kunst des Minimalismus interessiert habe, begrüßte Cragg den am Niederrhein lebenden und arbeitenden Künstler. Ließ gleich seine Gedanken zu einer sechs Meter langen, schwarzen Skulptur Bolls folgen – eine flirrende Linie, die an ihren dicksten Stellen nahe der Mitte keinen Zentimeter aufweist, dafür an ihren Enden hauchdünn ausläuft. Sie scheint die weiße Wand hinter sich zu durchschneiden und hängt doch an durchsichtigen Anglerschnüren ein Stück weit davor: „Sie erinnert vielleicht an die Geschichte der Menschheit, von ihren winzigen Anfängen an. Wie sie irgendwann ausgeht, dafür sind wir selbst verantwortlich.“ Ein Bild, das Boll gerne aufgriff, mit der optimistischen Ergänzung, dass die Geschichte hoffentlich noch lange andauere.

Bolls künstlerische Geschichte begann mit vielen Gedanken und Betrachtungen und drei Zeichnungen. Als Student der Kunsterziehung und Philosophie in Münster hielt der 1952 in Issum Geborene eines Tages eine hölzerne Alflöte in Händen, die er Stück für Stück auseinandernahm und aus den neu entstehenden Raumperspektiven zeichnete, bis er erkannte, „dass ich während des Zeichnens in der Flöte stand“. Seither beschäftigte er sich mit Räumen, die mindestens eine Öffnung aufwiesen, ohne die kein Hineinkommen und damit kein Raumerleben möglich sei. Damit einher ging von Anfang an die Bedeutung des Betrachters, ohne die seine Kunst nicht funktioniert. Ein Gedanke, der auch Cragg umtreibt: „Kunst ist immer auch das Ergebnis von dem, was man mitbringt.“ Ganz besonders, wenn es wenig erklärende Literatur gibt, die Kunst selbst nahe an ihrem Ursprung, der Linie, bleibt.

Seine Kunst entsteht in
sorgsamer Handarbeit

Für die ovale Halle mit ihren raumhohen Festerfronten, der weißen Decke und dem dunklen Vorraum hat Boll insgesamt sieben Kunstwerke ausgesucht. Sie stellen einen Ausschnitt seines Schaffens dar, den er bewusst in Reaktion auf den Raum auswählte. Liniare und eine Helixform, die mittels Fäden oder auf einer Stele schweben, sowie zwei etwas andere Arbeiten: Eine Skulptur aus den 90er Jahren besteht aus einem schwarzen Stein mit einer weißen Linie. Außerdem hat Boll ein aufschlussreiches Modell aus dem Jahr 1977 aufgestellt: Auf einer quadratischen Holzfläche steht eine kleine Figur, auf die kreisrund aufgestellte schwarze Wände zulaufen. „In der Mitte stehend sieht man nur Pfähle. Tritt man einen Schritt beiseite, wirken sie wie ein geschlossener Raum.“

Wer die Halle betritt und den Blick zur Decke lenkt, entdeckt dort eine gerade Linie, „wenn man weitergeht, sieht man, dass sie ein rechter Winkel ist“, beschreibt Boll ein weiteres Kunstwerk, das er als „I-Punkt“ aufgehängt hat. Die jeweils drei Meter langen, schwarzen Schenkel des Winkels „stehen“ knapp unterhalb der Decke.

Wie entstehen solche Werke, will der Bildhauer Cragg wissen. Er arbeite allein, sei ein „lonesome Cowboy“ lächelt Boll und erklärt, dass seine Kunstwerke in Handarbeit entstehen. Er spanne den Edelstahl in die Bohrmaschine, ziehe den sich drehenden Drei-Millimeter-Stab so lange über eine Schleifmaschine, bis ein gewisses, von ihm vorgegebenes Maß erreicht sei, messe nach, schleife weiter – bis zum kaum noch mit dem Auge erkennbaren, spitzen Ende. Ausschuss falle (dennoch) kaum an.

Seit den 70er Jahren arbeitet der mehrfach ausgezeichnete Bildhauer nun so. Sein Studium schloss er pro forma ab, lebte stets als freier Künstler. Er sei ein glücklicher Mensch sagt er noch und dass er viel lieber seine Skulpturen sprechen lasse. Eine Einladung, die die Wuppertaler annehmen sollten.