Kolumne „Verabschieden wir uns von der Integrationspolitik“

Die politische Diskussion über Integrationsfragen gleicht einem immer wiederkehrenden Kreislauf. Das ist nicht nur ermüdend, sondern lässt den Schluss zu, dass die klassische Integrationspolitik und ihre Antworten aus der Zeit gefallen scheinen.

Jade Madani.

Foto: Fischer, Andreas H503840

In meiner Funktion als Politikberater erhalte ich spannende Einblicke in die Hintergründe politischer Strukturen. Eines Tages bekam ich den Anruf eines Abgeordneten mit Migrationshintergrund, der ins Parlament gewählt worden ist: „Jade, wie kann das sein? Mein Schwerpunkt liegt in der Wirtschaftspolitik. Weshalb will der Fraktionsvorstand mich im Integrationsausschuss sehen?“ Jemanden im Integrationsausschuss zu haben, der selber Migrationshintergrund hat, macht Sinn. Gleichzeitig ist die Frage erlaubt: Wie sinnvoll ist die deutsche Integrationspolitik gestaltet?

Von „Integration durch Sport“ über „Deutsche Leitkultur“ bis hin zu „Die deutsche Sprache ist der Schlüssel“ haben viele Phrasen die jahrzehntelange Diskussion über die Integrationspolitik geprägt. Die politische Diskussion über Integrationsfragen gleicht einem immer wiederkehrenden Kreislauf. Das ist nicht nur ermüdend, sondern lässt den Schluss zu, dass die klassische Integrationspolitik und ihre Antworten aus der Zeit gefallen scheinen.

Unsere Gesellschaft steht inmitten der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist ein Anlass, über vieles zu reflektieren, besonders über unseren Umgang miteinander. Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts sollten unsere Debatten nicht von Identitätsfragen, Schuldzuweisungen und emotionalen Reaktionen auf Vorfälle geprägt, sondern von strategischer, perspektivisch umfassender Natur sein.

Wir benötigen eine Abkehr von der klassischen Integrationspolitik hin zu einem Wuppertaler Weg. Eine Politik, die die Bedürfnisse aller Gesellschaftsgruppen in allen Politikfeldern mitdenkt. Wirtschafts-, Bildungs-, Stadtentwicklungs- und Kulturpolitik ist immer als Integrationspolitik zu verstehen.

Kultursensibel können wir mögliche Problemstellungen nachhaltig beheben, den gesellschaftlichen Frieden etablieren und dringend benötigte Potenziale entfalten. Ein Masterplan Integration, der für alle Politikfelder der Ratsausschüsse klare Ziele und Schwerpunkte setzt, ist die praktische Konsequenz dieses Gedankengangs. 

Wo, wenn nicht in Wuppertal, können wir die Vision einer Gesellschaft, die Integrationspolitik weiterdenkt, realisieren? Allein ein Blick in die historischen Wurzeln unserer Heimatstadt kann als Inspiration für eine Renaissance genutzt werden. Die frühe Einführung der Religionsfreiheit und die Einwanderungsphasen in der Frühindustrialisierung und Nachkriegszeit beweisen die Integrationsvorbildlichkeit. Mit starken Akteuren unserer Stadtgesellschaft aus der Vereinslandschaft wie Anadolou e.V. und Amana e.V., den motivierten Mitarbeitenden aus der Stadtverwaltung und dem Engagement der Unternehmern hat die Politik alle Voraussetzungen, um eine bundesweite Wirkung herbeizuführen.

Wie ist die Geschichte mit dem Abgeordneten ausgegangen? Nach unserem Telefonat ging er zu seinem Fraktionsvorsitzenden und sagte ihm: „Die beste Integrationspolitik kann ich im Wirtschaftsausschuss gestalten.“ Heute ist er Sprecher seiner Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft. Potentiale entfaltet unsere Gesellschaft nur mit mutigen Entscheidungen.