Kein Ausweg aus diesem Leben

„Die Zofen“ von Genet — Schauspiel mit überzeugender Premiere.

Foto: Uwe Schinkel

Der erste Blick ist gelangweilt, fast aggressiv, der letzte traurig und verzweifelt. Dazwischen nimmt eine grausame Tragödie ihren unabwendbaren Lauf: Die unbarmherzigen Schwestern Solange und Claire können nicht mit- und nicht ohne einander. Am Wochenende lud das Wuppertaler Schauspiel zur Premiere von Jean Genets „Die Zofen“. Das Publikum erkannte das konzentrierte und überzeugende Spiel im Theater am Engelsgarten mit großem Applaus an.

Die Illusion ist die einzige Wirklichkeit: Solange die Personen in Rollen schlüpfen, verständigen sie sich. Kehren sie in die Realität zurück, ist es damit vorbei. Im Fall der beiden unterdrückten Bediensteten ist es das Sado-Maso-Spiel um Unterwerfung und Erniedrigung. Claire triumphiert in der Rolle der verhassten Madame, die Solange traktiert und provoziert. Das gefährliche Spiel eskaliert, endet aber kurz vor der Tötung der Herrin.

Den beiden jungen Schauspielerinnen Lena Vogt und Philippine Pachl gelingt das Spiel im Spiel glänzend, sie schmeicheln und provozieren einander, sie sind ein bestens eingespieltes Team. Das nur dann aus der Spur gerät, wenn die gnädige Frau — glänzend exaltiert bis komisch angelegt von Julia Reznik — und mit ihr die Realität dazwischenfunken. Dann bleiben nur Verunsicherung, Vorwürfe und pure Angst. Angst, nie aus dem verhassten Leben entkommen zu können und stattdessen bestraft zu werden, weil man an der Verhaftung des gnädigen Herrn mitwirkte, indem man ihn durch anonyme Briefe denunzierte. Solange: „Niemand liebt uns, niemand liebt mich, und wir können einander nicht lieben.“

Jean Genet schrieb seinen Klassiker „Die Zofen“ 1947. Der Ausgestoßene, Fürsorgezögling, Dieb und Häftling befasst sich in seinen Stücken mit dem Bodensatz der Gesellschaft, zeigt, wie diese von Rache und Verbrechen träumen. Menschen, die sich gleichwohl ihre Verdammnis verdienen wollen, indem sie todessüchtige Rituale pflegen wie im Theater, das für Genet ein rauschhaftes Fest ist, auf dem alle Exzesse der Freiheit locken.

In der Inszenierung von Jakob Fedler (Regie) und Dorien Thomsen (Bühne und Kostüme) wird alles diesem intensiven Ritual untergeordnet. Die Kleidung ist funktional, die Bühne blank, nur durch ein buntes Stoffgewusel an der Rückwand unterbrochen, das Ausgang aus dem Gefängnis und Sehnsuchtsort aber auch Höllenpforte ist, wenn von dort die Herrin plötzlich eingreift. Die Erlösung — auch für den mitleidenden Zuschauer — naht, als Claire für beide die Kraft findet, das grausige Spiel wirklich zu Ende zu führen.

“ Weitere Termine: 18.11., 19.30 Uhr; 19.11., und 3.12., 18 Uhr; 9.12., 19.30 Uhr. Infos: schauspiel-wuppertal.de