„Kinder wissen sehr früh um Hierarchien“
Professorin Claudia Machold ist Kindheitsforscherin. Sie soll jetzt im Kulturkindergarten aktiv werden.
„Sind so kleine Hände, winz‘ge Finger dran…“ ist eine Ballade von Bettina Wegner, die sie 1976 spontan während einer Zugfahrt textete und die in der Interpretation von Joan Baez international bekannt wurde. Es ist die Hymne auf gewaltfreie Erziehung in den 70er Jahren, einer Zeit, in der die moderne Kindheitsforschung ihren Anfang nahm. Seit ihrer Berufung 2017 forscht und lehrt Claudia Machold in der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften als Professorin für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Kindheitsforschung.
Campus
Wuppertal
Die Anfänge der ursprünglich vor allem (entwicklungs-)psychologisch, pädiatrisch und pädagogisch ausgerichteten Kindheitsforschung datiert die Wissenschaftlerin auf den Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Die von ihr vertretene sozialwissenschaftlich orientierte, erziehungswissenschaftliche Kindheitsforschung, hat sich jedoch erst in den vergangenen 20 bis 30 Jahren entwickelt. Eines der wichtigsten Kriterien dieser Forschung ist „die Idee, Kinder als Akteure zu betrachten“, sagt Machold.
„Ich forsche ethnografisch“, sagt Machold. Sie besucht Kindertagesstätten und Grundschulen. „Ich befrage keine Erzieher, Lehrkräfte oder Sozialpädagogen, sondern ich gehe in den pädagogischen Alltag und beobachte teilnehmend, was da geschieht.“ Die Ethnografie versucht das Zusammenleben, die soziale und politische Organisation und die kulturellen Ausprägungen eines Teilbereichs der Gesellschaft zu beschreiben und zu verstehen. „Es ist eine praxistheoretische Perspektive, die wir einnehmen“, erklärt sie weiter, „die davon ausgeht, dass Menschen aufgrund von impliziten Wissen handeln, also dass das, was sie tun, ihnen nicht permanent bewusst zugänglich ist. Aber indem ich das rekonstruiere, kann ich auf gesellschaftliche Phänomene rückschließen.“
Viele Facetten der Kindheitsforschung sind noch längst nicht ausgearbeitet. So bedauert die Forscherin, dass es kaum eine Beschäftigung mit Rassismus in der Kindheitsforschung gibt. Zwar bietet die internationale Literatur Wissen zum Thema, aber die landläufige Forschung hat die Forschungsaspekte noch nicht für sich entdeckt. Denn lange Zeit habe sich die Annahme gehalten, dass Kinder in ihrer frühen Phase noch viel zu egozentrisch sind. Ethnografische Beobachtungen zeigen jedoch, dass Kinder auch sehr früh die sozialrelevanten Kategorien, also Frau oder Mann, weiß oder schwarz, in ihrem Verhalten wiedergeben. „Und es verweist darauf, dass die Kultur und die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, auch in der frühen Kindheit relevant sind“, erklärt Machold,
Um ihnen die Diversität der Gesellschaft angemessen zu repräsentieren, müssten sich heute auch mehr und mehr die Lernmaterialien und das Spielzeug verändern, so Machold. Setzen manche Hersteller auf die strikte stereotypisierende Trennung von Mädchenspielzeug in vornehmlich rosa und Jungenspielzeug in blau, so sind es nach wie vor eher kleine Initiativen, die versuchen die Welt der Kinderkultur diverser zu machen. „Was macht es mit schwarzen Kindern oder Kindern of colour“, fragt die Wissenschaftlerin, „wenn sie immer die Kinderliteratur lesen, in der nur weiße Kinder abgebildet werden. Denen fehlen die Identifikationsvorbilder, die auch ihr Sein normal macht.“ Professorin Machold weiß um den schnell wachsenden — häufig gerade nicht differenzsensiblen Markt und würde sich gerne mit einem Forschungsprojekt an diesem Thema beteiligen.
Machold will sich künftig auch in Wuppertal direkt einbringen. „Die Alte Feuerwache baut gerade eine Kita an der Nordbahntrasse. Die haben mich als Kindheitsforscherin angesprochen. Ich habe Kontakt zu der Pädagogischen Leitung des Kulturkindergartens. Die Leitung wurde ein Jahr vor der Eröffnung der Kita bereits eingestellt. Sie arbeitet sehr genau an dem pädagogischen Konzept“, so Machold. Mit einem ersten Lehrforschungsprojekt, das sie mit Studierenden im Master „Kindheit, Jugend Soziale Dienste“ durchführt, beginnt die gemeinsame Projektarbeit. Darin soll der Alltag der Kinder ebenso berücksichtigt werden wie die engen finanziellen Verhältnisse in den angesprochenen Familien. So beteiligt sich Machold, ähnlich wie Kollegen anderer Fachrichtungen der Bergischen Universität an der konkreten Quartiersentwicklung im Herzen Elberfelds.
Generell sieht Machold eine große Verantwortung bei den Erwachsenen und allen pädagogischen Einrichtungen. Durch ihre Beobachtungen in der Forschung erlangt sie durch die Kinder immer wieder neue Erkenntnisse über gesellschaftliche Verhältnisse. „Kinder wissen sehr früh um Machtverhältnisse und Hierarchien. Und sie wissen, dass die Erwachsenen die Mächtigsten sind“, sagt sie abschließend.
Die Erfahrungswelt der Kinder bietet einen noch nicht entdeckten wissenschaftlichen Schatz. Die Anerkennung der gewonnenen Erkenntnisse kann die Gesellschaft stärken, oder wie es Bettina Wegner in ihrer Ballade formuliert: „Grade, klare Menschen wär’n ein schönes Ziel. Leute ohne Rückgrat hab’n wir schon zuviel.“