Was glauben Sie denn? Wir brauchen Gemeinschaften mit „Kompass“

Der 31. Oktober ist für die evangelische Kirche ein wichtiger Feiertag. Dabei geht er nicht auf ein biblisches Ereignis zurück.

Ilka Federschmidt - Freisteller

Foto: Kirchenkreis Wuppertal

Corona. Ein kleines Virus stellt uns vor ganz wesentliche, das ganze Dasein betreffende Fragen. Nicht, dass diese Fragen neu wären. Aber jetzt, in diesen Zeiten, rücken sie uns persönlich und gesellschaftlich „auf den Leib“.

Das Leben ist offenkundig verletzlich, mehr als wir wahrhaben wollten. Auf einmal kommen die Gedanken und die Debatten: Was ist denn das „Leben“? Was ist seine Würde, sein Sinn? Was bedeutet „Gesundheit“ – an Leib und Seele? Was ist mit dem Sterben, mit dem Tod, mit der Angst davor? Was bedeutet „Solidarität“, gerechtes Handeln und „Schutz des anderen“ in Corona-Zeiten?

In diesen Fragen brauchen Menschen einen guten Kompass. Wenn ich mit dem alten christlichen Bekenntnis des „Heidelberger Katechismus“ sagen kann: Jesus Christus ist mein tiefster Halt im Leben und im Sterben, dann liegt darin nicht nur ein großer Halt, sondern auch eine gute Widerstandskraft. Sie hilft, die schwierige Corona-Situation anzunehmen, nicht zu leugnen – und zugleich sich nicht von Angst oder Egoismus beherrschen zu lassen. Das macht Kräfte frei, auf das Gebot Jesu zur Nächstenliebe zu hören und an den Schutz anderer zu denken.

Weil die Seelsorgerinnen und Seelsorger unserer Kirche die biblische Wahrheit ernst nehmen. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“, achten sie darauf, dass wir Menschen nicht isoliert und einsam lassen, auch nicht in Krankenhäusern und Altenheimen. Weil die Diakonie unserer Kirche den prophetischen Aufruf ernst nimmt „Suchet der Stadt Bestes“, darum hat sie ihre aufsuchende Beratungsarbeit gerade bei den sozial Schwächsten auch in Coronazeiten aufrechterhalten. Weil Gemeinden und Kirche fragen „Was würde Jesus jetzt tun?“ weisen sie auf Ungerechtigkeiten hin, die sich im „Corona-Brennglas“ umso mehr offenbaren.

Aber dieser Kompass lebt von der Glaubens-Gemeinschaft. Er braucht die Gottesdienste, die im Glauben vergewissern, die die existentiellen Fragen aufnehmen, aussprechen, ins Gebet bringen. Ich weiß, dass für viele Menschen die Feier der Gottesdienste, auch wenn sie sich selbst nicht trauen, unter Corona-Umständen dorthin zu gehen, ein wichtiges Hoffnungszeichen, ein Lebenszeichen ist. Und ich glaube, das sind sie auch für viele nicht gläubige Menschen in unserer Stadt. Weil Jesus Christus uns das Wohl der anderen ans Herz legt, lassen die Gemeinden dabei größte Umsicht und Sorgfalt zum Schutz aller walten.

Unsere Gesellschaft braucht Gemeinschaften mit einem guten Kompass der Menschlichkeit. Die Raum haben und geben für die tiefen und wesentlichen Fragen nach dem Leben, nach dem Tod, nach der Menschlichkeit, nach einem erfüllten Leben, nach Frieden.

Es gehört zum Menschsein, dass viele ihren Halt im Glauben, in einer Religion suchen und finden. Genau das mag die Mütter und Väter des Grundgesetzes bewogen haben, der Freiheit der Religionsausübung in Artikel 4 des Grundgesetzes einen hohen Stellenwert zu geben. Weil der Glaube ein wertvoller Kompass ist, jedenfalls wenn Menschen ihren Glauben mit dem Willen zum Frieden und zur Versöhnung verbinden. Der Glaube an Gott hält die wichtigen Fragen des Lebens wach und die Erinnerung, dass die menschliche Würde in einer höheren Hand liegt.

Diese verwirrenden und verheerenden Coronazeiten zeigen uns, wie sehr unsere Gesellschaft Gemeinschaften mit einem guten Kompassbraucht, nicht nur im Privaten, nein, in aller Öffentlichkeit.