Am 10. April 1925 fand das erste öffentliche Theremin-Konzert in der Petersburger Philharmonie statt. Uwe Blass sprach mit Christoph Spengler über dieses musikhistorische Ereignis.
Was ist ein Theremin überhaupt?
Christoph Spengler: Das Theremin – ursprünglich hieß es Aetherophon – ist eines der ersten elektronischen Musikinstrumente überhaupt. Es besteht im Grunde aus einem Kasten mit zwei Metallantennen, einer senkrechten und einer waagerechten. Die Besonderheit ist nun, dass das Instrument berührungsfrei gespielt wird. Man bewegt die Hände in der Luft, und was wie Zauberei aussieht, ist simple Physik. Das Theremin arbeitet mit elektromagnetischen Feldern, die von den Antennen ausgehen. Die Position der Hände verändert diese Felder – und das wiederum verändert den erzeugten Ton. Der Klang wird gern als „geisterhaft, wie eine fragile Frauenstimme“ beschrieben, was sicher auch ein Grund dafür ist, dass es unter anderem bei der Vertonung von Science-Fiction-Filmen zum Einsatz kam.
Wer hat es denn erfunden und wie spielt man es?
Spengler: Der Erfinder ist der russische Physiker Lew Sergejewitsch Termen. Er entwickelte das Instrument 1920 und ging mit seiner „Geistermusik“ im Jahr 1927 auf Welttournee. In diesem Rahmen ließ er sich in den USA nieder, wo er seinen Namen in Leon Theremin änderte – daher auch der heutige Name des Instrumentes. 1938 kehrte er unter scheinbar ungeklärten Umständen in die UdSSR zurück, wo er verhaftet wurde und bis 1964 quasi verschwunden war. In dieser Zeit ließ auch das Interesse an dem Instrument nach, ehe es „wiederentdeckt“ wurde und sich bis heute großer Popularität erfreut. Termen war eigentlich auf der Suche nach einem Verfahren zur Messung von Gasdichten, als ihm auffiel, dass sich durch Körperbewegungen in einem elektromagnetischen Feld Töne erzeugen lassen. Dies geschieht beim Theremin konkret durch die beiden Hände. Die eine Hand kontrolliert die Tonhöhe, die andere die Lautstärke. Der Wechsel von einem Ton zum anderen geschieht dabei immer gleitend – man spricht von einem glissando. Es ist zwar im Grunde leicht, dem Instrument Töne zu entlocken. Sie aber kontrolliert und gezielt zu formen, erfordert ein hohes Maß an Übung und Konzentration sowie nicht zuletzt eine große Körperbeherrschung, da jede Bewegung, auch die der Arme, sofort zu einer Veränderung des Klangs führt.
Man sprach anfangs in Bezug auf das Instrument immer von einer Geistermusik. Wie kam man darauf?
Spengler: Ich denke, dafür gibt es vor allem zwei Gründe, nämlich den Klang und die Spielweise dieses Instrumentes. Bei einem Klavier oder einer Gitarre sind die Töne klar voneinander abgegrenzt. Beim Theremin dagegen gleiten die Töne kontinuierlich ineinander über. Einen ähnlichen Effekt kann man zum Beispiel auf einer Geige erzielen, wenn man beim Streichen den Finger über die Saite gleiten lässt. Der elektronisch erzeugte Klang des Theremins, der ja nicht von einer Saite oder einer schwingenden Luftsäule wie bei einem Blasinstrument kommt, hat zudem etwas Sphärisches, fast Unheimliches und war für die Ohren der damaligen Menschen völlig neu. Hinzu kommt die Spielweise, denn das Instrument wird beim Spielen nicht einmal berührt. Das wirkte auf die Menschen der 20er-Jahre fast wie Magie, denn es entstand der Eindruck, der Klang komme aus dem Nichts. Das passte gut zum damaligen Zeitgeist, in dem viele vom Spiritismus und dem Okkulten fasziniert waren.
Es wurden sogar speziell für dieses Instrument Werke komponiert. Hitchcock nutzte es 1945 für seinen Film „Spellbound“ (deutscher Titel: Ich kämpfe um dich). In den Traumszenen des Psychodramas zersetzt der trancehafte, schlingernde Klang die Koordinaten der Wirklichkeit, schickt die Ohren auf mäandernde Höllenfahrt, gräbt immer tiefer hinab in verschüttete Gedächtnisgründe. Sind das die Stärken der Theremins?
Spengler: Ja! Der Klang des Theremins bewegt sich außerhalb dessen, was wir in unserer natürlichen Umgebung als vertraut empfinden. Er ist schwebend, flirrend, irgendwie jenseitig. Das eignet sich natürlich hervorragend, um Szenen damit zu unterlegen, in denen es um das Unheimlich, Traumhafte oder Psychologisch-Abgründige geht. Auch in Science-Fiction-Filmen der 1950er-Jahre bediente man sich gern des Instruments, so etwa der mehrfache Oscar-Preisträger Bernard Herrmann in dem Film „The Day The Earth Stood Still“. Er erkannte, dass sich der Klang hervorragend eignete, um das Fremde, Außerirdische klanglich auszudrücken – ein echter Klassiker. Gleichzeitig hat das Theremin aber auch eine lyrische, empfindsame Seite. In frühen Konzertwerken, etwa von Bohuslav Martinů oder Carolina Eyck, wird es ganz klassisch-melodisch eingesetzt und klingt dort fast wie eine singende Stimme. Das Spektrum reicht also von der kosmischen Klangreise bis zur romantischen Solostimme.
Erst in den 90er-Jahren wurde das Theremin von der Elektroszene wiederentdeckt. Trat es dann nicht in die direkte Konkurrenz mit den Synthesizern?
Spengler: Auf den ersten Blick scheint das Theremin tatsächlich in Konkurrenz zum Synthesizer zu stehen – immerhin können beide elektronische Klänge erzeugen, die anders sind als die, die klassische Instrumente erzeugen können. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Synthesizer arbeiten meist über Tasten, Regler oder Computersteuerung. Das Theremin dagegen bleibt ein körperlich gespieltes Instrument – mit all seinen Eigenheiten, Nuancen und Unwägbarkeiten. Und auch nach so vielen Jahren, die es das Instrument schon gibt, bleibt es faszinierend, jemandem zuzusehen, der es spielt und dabei die Hände nur in der Luft bewegt, um die Töne zu erzeugen. Auch wenn wir wissen, dass das alles physikalisch zu erklären ist, bleibt dem doch ein magisch wirkender Zauber inne. Das Spielen des Theremins hat eben immer etwas Situatives: Es reagiert so empfindlich auf jede Bewegung seines Spielers, dass es nie genau gleich klingt. Damit hebt es sich ab von der digitalen Gleichförmigkeit moderner Sampler und Synthesizer. Ich sehe das Theremin eher als eine schöne Ergänzung der Synthesizer-Welt, ein Nischeninstrument, das dennoch eine treue Fangemeinde hat.