Kolumne Kultur ist relevanter denn je
Wuppertal · Torsten Krug vom Freien Netzwerk Kultur will raus aus der Höhle.
Auf einer Geburtstags-Party vor einigen Jahren erfuhr ich, wie reich Wuppertal an Bunkern und Höhlen sei. Der Mann erzählte mir von verzweigten Gängen und unterirdischen Räumen, gar Hallen, zu denen er Zugang habe und regelmäßig Gruppen führe, um dort zu fotografieren.
Das kam mir jetzt in den Sinn, als ich nach einem Bild für den Zustand unserer Sparte der Kulturschaffenden suchte, zu denen ich selbst zähle: Viele von uns haben die letzten Monate wie in Höhlen verbracht, ich scheue mich zu sagen: in Bunkern, da ich den Vergleich mit einem Krieg für unangemessen halte. Dass ein Teil unserer Arbeit in dieser besonderen Stadt dennoch sichtbar werden konnte, haben wir den vielen Engagierten unter uns zu verdanken, auf die wir hier schon mehrfach hinweisen durften.
Für viele unserer Kulturorte – und damit auch für die dort arbeitenden Künstlerinnen und Künstler – dauert der gesellschaftliche Lockdown, die Quarantäne jedoch bis heute an. Daher gilt es jetzt, diese Orte nachhaltig zu unterstützen und sie aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken: Loch, Ort, Ada, Insel, Kunstverein, Kunststation, Feuerwache, Färberei, Utopiastadt, Börse, unsere Kinos, die Wuppertaler Bühnen und viele, viele andere wagen einen großen Spagat: unseren spürbaren Hunger nach Kunst und Kultur zu stillen und unsere Sicherheit zu gewährleisten – und dabei irgendwie über die Runden zu kommen. Das große Wort heißt daher: Solidarität. Unter den aktuellen Umständen, bei steigenden Infektionszahlen einen Kulturort zu besuchen, heißt auch: Ich schätze euch, ich möchte, dass es euch in Zukunft weiter gibt, ich gebe vielleicht sogar etwas mehr dafür, wenn ich kann, ich vertraue euch.
„Kreativität heißt zeigen, was als nächstes kommt“, heißt ein Zitat des Kreativcoaches und Visionärs Hanns Reitz, von dem ich auf unserer Rückreise aus dem Urlaub im Radio hörte. Aus seinem ursprünglichen „Aussteigerdasein“ als Manager einer Artisten- und Theatertruppe entwickelte er die international erfolgreiche Kreativagentur „Circ“. Seine Begegnung mit dem Erfinder der „Mikrokredite“ und späteren Friedensnobelpreisträger Professor Muhammad Yunus veränderte sein Leben nachhaltig. Mit ihm zusammen trägt er dessen Idee vom „Social Business“ in die Welt, vom Wirtschaften für einen guten Zweck, ohne Gier nach immer mehr Profit.
Unsere Kulturorte sind relevanter denn je: Hier finden wir nicht nur notwendige Entspannung oder neue Fokussierung, hier verständigen wir uns über nichts Geringeres als unsere Zukunft, unseren Umgang mit Tier, Mensch, Ressourcen. Wir verständigen uns mittels Literatur, Sprache, Bildern, Gesten, mittels Musik und Improvisation, begegnen uns mit wachem, offenem Geist.
Kommen wir also raus aus unseren Höhlen, in denen wir uns im Idealfall mit neuen Ideen anreichern konnten. Unsere Kulturorte sind in der Regel sicherer als jeder Supermarkt: Viele Plätze sind gesperrt, Lüftungen aktiv, Abstände werden gewährleistet, es gibt Sicherheitskonzepte, Desinfektionssprays. Ich persönlich hätte auch nichts dagegen, einen ganzen Abend mit Maske zu verbringen, schließlich muss ich das im Zug auch. Dazu scheinen sich Kulturgänger der gemeinsamen gesellschaftlichen Verantwortung oftmals bewusster zu sein als manch andere und somit „ungefährlicher“ in der Begegnung.
Ein Zurück zur alten Normalität wird es nicht geben. Im anstehenden Neustart steckt eine große Chance. Fangen wir an. Besuchen wir uns.