Bühnen-Festival: Das Theater feiert sich selbst
Mit dem Abschlussabend ziehen die Macher des NRW-Theatertreffens eine positive Bilanz. Vorstellungen waren fast alle ausverkauft.
Wuppertal. Mit einer fulminanten „Nora“ und der Preisverleihung ist am Sonntagabend nach einer Woche das NRW-Theatertreffen im Opernhaus zu Ende gegangen. Herbert Fritsch kommt bei seiner Ibsen-Inszenierung komplett ohne Requisiten aus. Einzig der große Pappmaché-Tannenbaum im Hintergrund fährt einmal bedrohlich nach vorne. Ansonsten agieren die Figuren auf der quadratischen Spielfläche wie auf einem Seziertisch. Briefe oder Geschenke existieren nur als Pantomime.
Im Mittelpunkt stehen die Gefühle, die überdeutlich theatralisch herausgestellt werden. Die Figuren krümmen sich angstverzerrt und lassen lüstern die Zunge heraushängen. Manja Kuhl zwitschert als „Schmetterling“ Nora im Puppenkleidchen in hellen Tönen, strahlt fröhlich über das maskenhaft weiß geschminkte Gesicht. Alle Männer wollen ihr nur an die Wäsche, auch das wird sehr deutlich gezeigt. Beflissen tanzt Nora auf ihren Spitzenschuhen. Erst allmählich bröckelt die Fassade, sie zeigt ihr natürliches Gesicht und ihre Gefühle in unerwarteter Ernsthaftigkeit.
Das Ende kommt überraschend schnell — und Fritsch sieht den positiven Ausgang sehr zweifelnd; während Nora ihre Unbekümmertheit abgelegt hat, spricht ihr ihr Gatte Helmer (Torsten Bauer) weiterhin jede Fähigkeit zur Verantwortung ab.
Folgerichtig erhielt Manja Kuhl für ihre Nora auch den Preis der besten Darstellerin. „Sie spielt die Nora vergrößert und verdreht — und trotzdem erzeugt sie berührende Momente“, begründete Dramatiker Martin Heckmanns die Vergabe. Zur Jury gehörten außer ihm die Kölner Journalistin Dorothea Marcus, die Schauspielerin An Kuohn und Intendant Christian von Treskow.
Als bester Nachwuchsschauspieler wurde Dimitrij Schaad vom Schauspielhaus Bochum gekürt, der in den „Labdakiden“ mitwirkte. „Wir waren alle baff, wie jung der ist — er agiert so überzeugend und reif“, urteilte Dorothea Marcus. Seinen letzten Auftritt vor Beginn der Rente hatte hingegen Albert Kitzl, der als bester Darsteller für sein „seelenvolles“ Spiel als Diener von „Oblomow“ des Schauspiels Köln ausgezeichnet wurde.
Die Jugendjury aus Mitgliedern des Theaterclubs der Wuppertaler Bühnen prämierte die „Orestie“ des Rheinischen Landestheaters Neuss (Regie: Catharina Fillers) für ihr „Spiel mit der Farbe und herausragende Leistung des ganzen Ensembles“. Den Publikumspreis — gewertet aus der Anzahl der abgegebenen positiven Stimmen im Verhältnis zu den negativen Stimmen — erhielt mit 94,9 Prozent Jelineks „Rechnitz“ aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus (Regie: Hermann Schmidt-Rahmer). Und als beste Inszenierung wählte die Jury Handkes „Kaspar“ vom Theater Bonn.
„Es ist eine verstörende Arbeit, die Text und Thema ernst nimmt und ein wunderbares Verhältnis von Wort und Bedeutung hat“, begründete von Treskow. Dramaturgin Stephanie Gräve erzählte, wie der Regisseur Alexander Riemenschneider seit seinem Studium am Bonner Haus aufgebaut wurde und das Stück seine Intensität nur durch die jahrelange Zusammenarbeit mit dem Hauptdarsteller Hendrik Richter entfalten konnte. „So etwas geht nur durch das Staatstheater — passen Sie gut auf, dass es Ihnen keiner wegnimmt“, betonte sie.
Viel Applaus fürs „dickste Sitzfleisch“ erhielten auch zwei Zuschauer, die alle zehn Vorstellungen gesehen hatten. Regina Advento, André Enthöfer und Christoph Iacono sorgten für die musikalische Umrahmung der Preisverleihung. Einzig der künstlerische Leiter Holger Weimar fehlte diesmal: Er stand seiner Frau bei der Geburt ihres Kindes bei.