Ein mitreißender Hörspaß mit jugendlichem Überschwang
Der makellose Vortrag des erst 18-jährigen Kanadiers Jan Lisiecki wird beim Auftakt in der Historischen Stadthalle vom Publikum mit Bravorufen belohnt.
Elberfeld. Wem schon mit 18 Jahren der Ruf eines Shooting-Stars der Klavierszene vorausgeht, hat es nicht leicht. Entsprechend hoch sind die Erwartungen, die man an den jungen kanadischen Pianisten Jan Lisiecki hat. Er eröffnet am Dienstagabend den Bayer-Klavierzyklus 2013/2014 in der Historischen Stadthalle, der einmal mehr Pianisten der jungen und jüngeren Generation vorstellt.
„Trouvaillen“ — „wertvolle Entdeckungen“ ist die Spielzeit betitelt, und Lisiecki wählt auch selten zu hörende Fundstücke der Klavierliteratur, etwa vier von Olivier Messiaens „Acht Preludien“.
Der junge Mann mit dem blonden, lockigen Haar, das über die Ohren fällt, beweist gleich zu Beginn seine Klasse: Er spielt die klangsatten, üppig ausufernden spätimpressionistischen Fantasien mit großer Versenkung und pianistischer Raffinesse. Natürlich darf Großmeister Johann Sebastian Bach nicht fehlen: Seine erste B-Dur-Partita (BWV 825) aus der Clavier Übung I ist ein perfektes Stück, um die Gelenkigkeit der Hände beim Über- und Ineinanderspielen zu zeigen. Dabei legt Lisiecki immer Wert auf eine — vielleicht etwas sehr romantisch aufgefasste — dynamische Gestaltung.
Selten hört man Werke des Polen Ignacy Jan Paderewski — zu Unrecht, wie Lisiecki zeigt: Seine Humoresque op. 14 lebt von überbordender und gezügelter Freude, fast möchte man den bäuerlichen Tanz, der durchaus salonfähig daher kommt, beim Hören mitstampfen.
Dagegen schwelgt das Nocturne aus dem Opus 16 in unentschiedenen Gefühlen. Der Tscheche Bohuslav Martinu, der Schalk unter den Komponisten seiner Zeit, scheint seine drei tschechischen Tänze dem jungen Pianisten auf den Leib geschrieben zu haben: So wirbelig pariert er die skurrile Musik, stellt Witziges akzentuiert heraus, lässt Jazziges und Archaisches eine lebendige Symbiose eingehen: ein großer Hörspaß, mit jugendlichem Überschwang mitreißend vorgestellt.
Dann aber Frédéric Chopin: Die zwölf großen Etüden op. 10 verlangen auch einem jungen Genie Höchstleistungen ab. Kein Wunder, dass Lisiecki immer wieder zum Schweißtuch greifen muss und große Konzentration an den Tag legt.
Chopin widmete sein Opus 10 Franz Liszt. Also enthält jede Übung spieltechnische Schwierigkeiten, die es zu meistern gilt: Rauschende Bewegungsskalen der Rechten, akkordische Schlagkraft, Arpeggienwogen oder die Handakrobatik in der As-Dur Etüde: Makellos spielt der junge Ausnahmepianist sie alle und endet mit der wuchtigen „Revolutionsetüde“.
Das Publikum spart nicht mit Bravorufen und erhält „something very little“ als Zugabe. Den Titel des kleinen Stücks verrät der erschöpfte Pianist aber nicht.