Kolumne Zeit für Zukunft
Es gilt, vieles nachzuholen, sagt Uta Atzpodien.
Voller Funken leuchtet ein gelb-orangenes Farbspektrum Passantinnen und Passanten entgegen, auf einer erst kürzlich besprühten Hallenwand direkt am Mirker Bahnhof, an der Nordbahntrasse. Utopiastadt ist für viele Menschen zu einem Identifikationsort geworden. Sinnbildlich wurde die Wand erst kürzlich zur Kulisse für Zuversicht spendende Aktionen und konkrete Perspektiven: Die Alte Feuerwache und der Kulturkindergarten stellten ihr Engagement für das „Traumviertel“ vor, das über Gärten, Tiere und künstlerische Impulse direkt bei den jüngsten Stadtbewohnerinnen Erfahrungsräume öffnet. Sie sind, wie kulturelle Bildung an sich, so wesentlich für eine zukunftsfähige und enkeltaugliche Stadtgesellschaft.
Noch erfahren wir vor allem über Presse, Soziale Medien oder zufällige Begegnungen von all diesen Zuversichtsfunken. Der erste Drehtag für unser performatives Filmprojekt „Arbeit:Mensch:Utopia“ mit der Filmemacherin Kim Münster, der Beraterin für Unternehmenskultur Anne Brüne und der Mobilen Oase fand am 1. Mai, am Tag der Arbeit hier eher zurückgezogen statt. Schnelltests und rigide Achtung der Abstandsregelungen waren angesagt. Auch wenn Corona uns alle gelähmt hat, pulsieren jetzt umso stärker die alten, neuen Fragen: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir arbeiten? Was können wir tun?
Ähnlich wie es überall blüht und sprießt, verraten uns die stetig fallenden Inzidenzzahlen, dass nun – endlich – schrittweise Öffnungen und Veranstaltungen anstehen. Fast haben wir schon verlernt, was es heißt, sich ganz analog zu begegnen, sich nahe zu kommen, sich zu berühren oder gar zu umarmen. Beflügelnd und pragmatisch hat der „Literatur auf der Insel“-Abend mit der Autorin Mithu Sanyal und ihrem Buch „Identitti“ am letzten Freitag Torsten Krug, mir und dem Livestream-Publikum gezeigt, wo die Reise lang gehen kann. In der oft so verbissenen Diskussion um Identitätspolitik, den Herausforderungen, die das gesellschaftliche Zusammenleben in Vielfalt erfordert, hat sie mit ihrer erfrischenden Erzähllust und Phantasie gezeigt, dass wir uns mitten in einem Prozess befinden. Angesichts der erhitzten Debatten entpuppt sich ein konstruktiv-spielerischer Umgang, gerne begleitet von Humor, Leichtigkeit, wie es eben via Kunst und Kultur möglich ist, zu einem golden pragmatischen Schlüssel zur Zukunft.
Im Dialog im Café Ada, das seit den 80er und 90er Jahren deutschlandweit als Pilotort für innovative multikulturelle Aktionen bekannt ist, wurde greifbar, dass auch der kritische Umgang mit blinden Flecken der Vergangenheit, wie unserer Kolonialgeschichte, zu einem Potenzial für das Gestalten der Zukunft werden kann. Das zum Beispiel wird in der Bürgerbudget-Einreichung „Decolonize Wuppertal“ greifbar. Dafür brauchen wir Zeit und Aufmerksamkeit.
In den nächsten Wochen wird sicher erst zaghaft, dann unversehens eine wilde Karussellfahrt an Veranstaltungen starten. Es gilt, vieles nachzuholen. Bereits die digital erfahrene Vielbeschäftigkeit hat in mir die Frage nach der Qualität von Zeit und Zukunft neu entzündet. Bei all den Corona- und Inzidenzdebatten ist beispielsweise der kreativ-konstruktive Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels in den Hintergrund gerückt.
Ganz pragmatisch lädt nun die Broschüre „Zeit für Zukunft. Inspirationen für eine klimagerechte Kulturpolitik“ von der Kulturpolitischen Gesellschaft ein, sich vom Knowhow inspirieren zu lassen, das bei ihrer Sommerakademie im September 2020 in Wuppertal zusammengetragen wurde. Als Kooperationspartner freut sich das Freie Netzwerk Kultur über Interesse am Heft, bitte melden, Exemplare sind ausreichend vorhanden. Auch eigene Ideen oder schlicht Feedback sind als „Zeit für Zukunft“ willkommen via: