Für Annika Boos ist die Welt eine Bühne
Ihre Engagements führen die Sopranistin bis nach Korea. Dabei entdeckt sie ihren Beruf immer wieder neu.
Wuppertal. Mit einem kalten Hauch von draußen wirbelt sie hinein und füllt sofort den Raum. Das kleine Café ist keine Bühne, dennoch ist Annika Boos ganz präsent. Lässig wirft sie ihren Mantel über die Stuhllehne und ist mitten im Moment. Die Sängerin strahlt eine unbefangene Offenheit und ungekünstelte Neugier aus. Die Reisestrapazen der vergangenen Monate, die sie zu Engagements in Korea, Salzburg und Dessau geführt haben, und das konzertreiche Jahresfinale scheinen spurlos an ihr vorüber gegangen zu sein.
„Es ist schön, wieder zu Hause zu sein. Das genieße ich sehr“, sagt sie mit einem kleinen Seufzer. Urlaub hat die gefragte Sopranistin jedoch auch in der Heimat nicht. Ein Stapel Noten wartet darauf, Stück für Stück abgearbeitet zu werden. „Den etwas ruhigeren Januar nutze ich, um die Konzerte im Frühjahr vorzubereiten. Doch es bleibt auch Zeit für alles, was in den vergangenen Wochen zu kurz gekommen ist.“
Mit Freunden in die Schwimmoper zu gehen oder einfach nur gemütlich zusammenzusitzen, ist für die 28-Jährige besonders wichtig. „Das erdet mich, denn dann sind ganz andere Dinge wichtig. Jeder erzählt, was ihn beschäftigt. Mein Beruf spielt dann keine große Rolle und das ist gut so.“ In den Alltag einzutauchen, bringt Annika Boos in den Alltag zurück.
Die bergisch-bodenständige Normalität schafft einen wohltuenden Kontrast zur großen Bühne. „Dort nehmen sich viele Leute sehr wichtig und das ist auch nötig. Denn wer nicht davon überzeugt ist, dass das, was er gerade tut, das Wichtigste auf der Welt ist, hält diesen harten Job nicht durch.“ Wer sich jedoch nur in diesen Sphären bewege, verliere schnell den Bezug zur Realität. „In meinem Leben brauche ich beide Welten“, betont Annika Boos. Sie ist dankbar dafür, einen Beruf zu haben, für den sie brennt, dem sie sich ganz hingeben kann.
An die Oper zu gehen war für sie eine intuitive Entscheidung. „Nach dem Abitur habe ich ein Jahrespraktikum bei den Wuppertaler Bühnen gemacht, weil ich einen Blick hinter die Kulissen werfen wollte.“ Die Atmosphäre und die Menschen dort haben sie vom ersten Tag an fasziniert. „Es war ein sehr freier, kreativer Rahmen.“
Den Wunsch, auf einer großen Bühne Werke von Mozart oder Verdi anzustimmen, hatte sie früh gespürt. „Mit drei Jahren stand für mich fest, dass ich Sängerin werden wollte“, berichtet Annika Boos lachend. Das Erlebnis von Aida in der Arena von Verona begeisterte sie zum ersten Mal für die Oper. „Als Kind bin ich mit klassischer Musik gar nicht in Kontakt gekommen.“
Entsprechend gelassen reagierten die Eltern zunächst auf ihren Berufswunsch. „Sie haben das überhaupt nicht ernst genommen.“ Erst der Leiter des Kirchenchores konnte sie davon überzeugen, dass sich Gesangsunterricht für Annika lohnt. Die 13-Jährige nutzte die Gelegenheit, sich in Pop und Jazz, Gospel und Musical auszuprobieren. „Mein erstes klassisches Lied war von Schubert. Da habe ich gelernt, Selichkeit statt Seligkeit zu singen.“ Mehr gepackt habe sie jedoch die Rosenarie aus der Hochzeit des Figaro. „Das war immerhin schon auf italienisch“, sagt sie und ihre blauen Augen blitzen.
Gefühle mit fremden Worten auszudrücken, hat sie im Studium gelernt. „Da liegt der Fokus auf der Aussprache und nicht auf dem Verständnis.“ Ohne Übersetzung im Kopf fehle jedoch ein entscheidendes Element. „Wenn ich nicht weiß, worum es geht, kann ich es auch nicht rüberbringen.“ Die Interaktion mit dem Publikum macht für sie den besonderen Zauber auf der Bühne aus. „Der schönste Moment ist für mich, wenn die Zuhörer ganz bei mir sind.“
Annika Boos versucht ihren Weg zu finden und zu gehen. Im Vertrauen auf ihre eigenen Fähigkeiten möchte sie auch an ihre Grenzen gehen, sich ausprobieren. „Operette, Musical, Jazz, Pop — ich schließe nichts aus. Als freiberufliche Künstlerin sei es nicht immer einfach, diszipliniert an sich selbst zu arbeiten. „Da muss jeder seinen eigenen Rhythmus finden.“ Sie probt am liebsten bei ihren Eltern, um die Nachbarn nicht zu stören. Zur Pflege des Instruments Stimme gehören auch Sporteinheiten und eine Achtsamkeit für Körper und Seele. „Wenn mich etwas belastet, spiegelt sich das in der Stimme“, sagt Annika Boos, Sie setzt sich daher intensiv mit sich auseinander, ohne etwas von ihrer Unbefangenheit zu verlieren.