Gesangs-Professorin findet ihr Gleichgewicht in Wuppertal

Brigitte Lindner hat eine ungewöhnliche Unterrichtsmethode. Sie schwört auf eine Wippe, die das Balance-Gefühl schult.

Wuppertal. „Ja, das Studium der Weiber ist schwer“ — schon Franz Lehár wusste ein Lied davon zu singen. Die Arie aus der Operette „Die lustige Witwe“ ist das Motto eines Konzertabends, bei dem Studenten der Wuppertaler Musikhochschule am Montag, 24. Januar, um 19.30 Uhr ihre Stimmen erheben.

Wie schwer (aber auch erfüllend) menschliche Studien, vor allem auch Gesangsstudien sein können, weiß an der Sedanstraße wohl kaum jemand besser als Brigitte Lindner, die schon als kleines Mädchen begeistert vor dem Radio saß und keine Kinderchor-Sendung versäumte. Wer die Professorin heute besucht, gerät ins Staunen. Ein Klavier ist im direkten Umfeld einer Gesangspädagogin ja durchaus zu erwarten. Aber eine Wippe? Das kleine Gerät steht mitten im Raum — vor einem großen Spiegel.

Wer glaubt, dass die Wippe reiner Zeitvertreib und der Spiegel Sinnbild einer ausgeprägten Selbstverliebtheit ist, kennt weder Brigitte Lindner noch die Tücken des Gesangs. „Für mich ist es ganz entsetzlich, wenn sich ein Schauspieler oder Sänger nicht bewegen kann.“ Denn die Professorin hat ihre Prinzipien: „Man muss mit den Augen spielen. Bewegung ist mir sehr wichtig.“ Das erklärt den Spiegel.

Und die Wippe? Lindner lächelt nachsichtig, denn sie ist staunende Blicke gewohnt: „Ich arbeite seit zwei Jahren mit einem Physiotherapeuten zusammen.“ Er brachte die gebürtige Bayerin auf die Wippe und damit auf die Idee, auch ihre Gesangsstudenten zu ermuntern, auf einem beweglichen Brett die eigene Mitte zu suchen. Die kleine Wippe habe große Auswirkungen auf den Standpunkt beim Singen: „Man atmet tiefer. Und die ganze Muskulatur wird anders gefordert.“

Ihre Studenten haben das ungewöhnliche Lehr-Instrument längst ins Herz geschlossen. Auch Lindner selbst schwört auf ihr Patentrezept. So geht die Wippe sogar mit auf Reisen — wenn Lindner Konzerte oder Meisterkurse gibt und im Hotelzimmer, nach langer Anreise oder zwischen Jurysitzungen, das innere Gleichgewicht wiederfinden möchte.

Selbst im Rampenlicht zu stehen, dafür hat sie so gut wie keine Zeit mehr: Seitdem sie vor zwei Jahren die Nachfolge von Barbara Schlick angetreten hat, gibt die gebürtige Münchenerin in Wuppertal den Ton an und ihre Erfahrungen an ihre Studenten weiter.

Im Rückblick mache das durchaus Sinn, wie sie mit einem Augenzwinkern erklärt: „Ich komme aus einer Pädagogen-Familie und habe eigentlich immer gedacht, dass ich als Künstlerin aus der Art schlage. Nun hat mich die Pädagogik also doch eingeholt.“

Dabei empfiehlt die Sängerin eine Wippe, aber keine rosarote Brille: „Die ist fehl am Platz. Nicht jeder wird eine Maria Callas oder ein Plácido Domingo und verdient entsprechend. Deshalb bin auch dafür, dass die Ausbildung so breit wie möglich ist.“ In Barmen sei sie es — mit künstlerischen wie pädagogischen Elementen.

So weise das Studium nicht nur den Weg auf die Bühne, sondern alternativ auch auf jenes Parkett, auf dem Musiklehrer zu Hause sind. 350 junge Menschen bewerben sich pro Jahr an der Hochschule, die Standorte in Köln, Aachen und Wuppertal hat, um einen Platz im Gesangsbereich. Die allerwenigsten erhalten ihn.

17 Studenten betreut Lindner derzeit. „Man könnte auch sagen: Ich habe eine Tochter und 17 Kinder.“ Schließlich steht der eigene Nachwuchs bereits parat: Mit Stadthallen-Chef Holger Kruppe hat sie Tochter Franziska, die „eine entzückende Stimme hat“. Pop und Musical liebt die Zwölfjährige — ganz wie die Mama, die vor allem Mozart und Musicals mag und bei der man deutlich spürt: Die Bayerin ist in Barmen angekommen.

„Ich bin immer mit Hingabe auf der Bühne gestanden“, sagt sie. Jetzt ist sie mit viel Herzblut Pädagogin. „Es ist unglaublich schön, beobachten zu können, wie sich die Studenten entwickeln, und sie dabei zu begleiten — mit allen Höhen und Tiefen, die das Sängerleben mit sich bringt.“ Denn davon kann Lindner selbst ein Lied singen.