Hesse: „Eine Fusion zweier Orchester ist immer riskant“
Lutz-Werner Hesse, Sprecher der Konzertgesellschaft, nimmt Stellung zum Kulturgutachten.
Wuppertal. Herr Hesse, das Actori-Gutachten zu Kooperationsmöglichkeiten auf dem bergischen Kulturparkett benennt als einzige Möglichkeit eines echten Einsparungseffekts eine Fusion zwischen den Orchestern. Wie stehen Sie dazu?
Lutz-Werner Hesse: Auch wenn man in schwierigen Situationen grundsätzlich immer alles denken können muss, sollte eine Fusion erst dann ins Blickfeld rücken, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Denn es gibt eine Reihe von beachtenswerten Tatsachen, Risiken und Problemen. Zu den Tatsachen gehört, dass das Sinfonieorchester Wuppertal in den vergangenen Jahren enorm an Qualität Art gewonnen hat. Das belegen nicht nur die heimischen Konzerte und die Wiederkehr des Publikums, das im Zusammenhang mit der Restaurierung der Stadthalle zu Beginn der 90er Jahre abgewandert war, sondern auch die Tourneen der vergangenen Jahre.
Was ist aus Ihrer Sicht der Grund für die Qualitätssteigerung?
Hesse: Sie war nur durch konsequente und beharrliche Arbeit möglich — die in diesem Fall auch noch von einer ungewöhnlichen menschlichen Harmonie zwischen dem Orchester und seinem Chef, Toshiyuki Kamioka, und einer ungeheuren Zuneigung des Publikums zu ihm gekennzeichnet ist. Wurde bis vor einigen Jahren jedes Sinfoniekonzert nur ein Mal gegeben, sind es gegenwärtig zwei Konzerte mit im Durchschnitt 2000 bis 2500 Zuhörern.
Sie sprachen Probleme an. Mit welchen rechnen Sie?
Hesse: Eine Fusion zweier Orchester ist immer mit großen Risiken und Problemen behaftet. Die Frage der unterschiedlichen Tarifgruppen ist möglicherweise nicht einmal die entscheidende.
Sondern?
Hesse: Es wird ein menschliches und ein klangästhetisches Miteinander erzwungen, das eine starke Belastung darstellt. Man muss wissen, dass Orchester in sehr aufwändigen Auswahlverfahren diejenigen Kollegen suchen, die klangästhetisch und menschlich in die Gruppe „passen“. Dieses wichtige Korrektiv, das jeder verantwortungsbewusste Personalchef mit Recht für sich beanspruchen würde, wäre komplett außer Kraft gesetzt. Die Bergischen Symphoniker haben diesen schmerzhaften Prozess seit der Zusammenlegung der Orchester von Remscheid und Solingen Mitte der 80er Jahre hinter sich bringen müssen und können darüber berichten. Dieses erzwungene Miteinander geht klar zu Lasten der Qualität, das zeigt jede Erfahrung.
Kann ein neuer, größerer Klangkörper nicht auch eine Chance sein? Hat ein größeres Ensemble nicht ganz andere Klangmöglichkeiten als zwei kleinere Orchester?
Hesse: Es dauert unter Umständen Jahrzehnte, bis ein neues einheitliches Niveau erreicht ist. Vergleiche mit anderen Berufssparten, in denen es solche ungewollten Verschmelzungen auch gibt, greifen nicht, da „Kunst“, und das ist ihre einzigartige Besonderheit, immer nur unter besonders günstigen, je geradezu begnadeten Umständen entsteht. Guter Wille reicht nicht, alles muss stimmen — damit ist keine Technik gemeint, sondern ein „Geist“. Beide Orchester zusammen haben im Moment 160 Musiker. Da ein fusioniertes Orchester über viele Jahre Stellen abbauen müsste, gäbe es keine Chance auf „Erneuerung“. Somit ist auch keine Qualitätssteigerung möglich.
Ein anderer Aspekt ist die Vielfalt des Programms . . .
Hesse: Wenn jedes Konzert nur noch ein Mal in Wuppertal, dafür aber insgesamt drei Mal, nämlich auch in Remscheid und in Solingen gegeben wird, gibt es weniger Konzerte und nur noch ein Programm statt zweien. Fraglich ist indes, ob ein und dasselbe Programm — und das wäre Voraussetzung für einen Spareffekt — auf den drei verschiedenen Bühnen machbar ist. Die Unterschiede in den Dimensionen bzw. der Veranstaltungsorte sind zum Teil erheblich. Und die Historische Stadthalle? Auch sie kämpft um Belebung durch Belegung.
Für die Fusion spricht jedoch der Einspareffekt.
Hesse: Ja, den gäbe es in der Tat. Doch er träte erst nach mehr als 20 Jahren in voller Höhe ein, in den ersten acht Jahren entstehen Mehrkosten. Wer kann einen solchen Zeitraum überblicken? Welche Überraschungen konjunktureller Art hat es in den vergangenen Jahrzehnten gegeben. Der Blick in die Zukunft ist vage und bleibt es, umso mehr, als bei vielen Dingen die Psychologie eine größere Bedeutung hat als Fakten.