Freies Netzwerk Kultur Wuppertal Ist das alt oder kann das weg?

Vom Start ins Kulturjahr mit einem Monat aus Papier.

Max Christian Graeff vom Freien Netzwerk Kultur.

Foto: C. Paravicini

Wir haben es geschafft! – Der richtige Anfang für die Kolumne, die gefühlsmäßig noch im grauen Januar entsteht, in diesem staubigen Abstellraum für alte Fotokalender, Kassenbelege und Flickwäsche, zwischen „noch“ und „schon“, zwischen Traum und Vergessen. Der ausbleibende Schnee schmälert das Tageslicht und im langen Lampenschein haben auch die freischaffenden Kulturunternehmer jede Menge zu tun: Belege sortieren, Notizhaufen lichten, Rettungsjobs suchen und neue (Un-)Möglichkeiten schaffen. Zwischen zahlreichen Treffen zu kommenden Unternehmungen müssen die Stapel mit der Kulturwäsche in den Schrank: gescheiterte Ideen und Entwürfe, Fehlgeplantes und Aufgeschobenes; allzu wenig bekommt den Stempel „Erledigt“ und wandert ins Archiv. Es erstaunt immer wieder, welche Mengen an Papier und Daten das Arbeiten für den Moment erzeugt und wie unsichtbar dies hinter allem Erleben von öffentlicher Kultur bleibt.

Wenn alle Aktiven der freien Kulturarbeit ihre Büros, Lager und verborgenen Kammern an einem Ort zusammentragen würden, kämen wir kaum mit der „Bastille“ aus, dem Höschenbunker am Döppersberg – obwohl ein solcher Kulturpalast doch ein angemessenes Entrée unserer innovationsgeschichtlich so reichen Stadt wäre. So faszinierend der Gedanke an ein Zeughaus künstlerischen Schaffens als ein Röntgenbild des sonst Verborgenen auch ist: Die Kosten würde die Verwaltung nicht tragen wollen, denn der auch monetär beträchtliche Gewinn, den die Kunst und Kultur faktisch im Stadtgefüge erzielt, versickert ja unsichtbar an anderen Orten und wird nur zum Teil als „Förderung“ wieder in die kreativen Berufssparten zurückgeleitet.

Die Frage, warum sich Wuppertal mit der Wertschätzung der nichtinstitutionalisierten Künste trotz neuer Verständigungen immer noch so schwertut, steckt im mentalen Kern unserer Region. „Alles ist Kirche und Handel“ lautet der Titel eines Buches von 1980, und mit ihm zeugen Dutzende vom hiesigen Wesen, das uns bis heute befiehlt: Außerhalb der oberen Zehntausend, welche feiernd und präsentierend Angesehenes als Hochkultur verwalten, zählt nur der unentwegte Fleiß, das Beten und der Suff. Im Dienen ist wenig Raum für ein Bewusstsein, das länger zurückreicht als eine halbe oder gar ganze Generation. Und sowieso gilt Papier nur als das, was das Leben noch schwerer macht. Natürlich gibt es das Stadtarchiv, das Historische Zentrum und die in zunehmender Platznot agierende Stadtbibliothek, aber auch diesen Institutionen fehlen Mittel und Arbeitszeit für ein auch die spannenden Randbereiche umfassendes kulturelles Gedächtnis der Stadt. Das Internationale Tanzzentrum wird zumindest diese Sparte als Exportartikel umfassend in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellen. Aber der „Rest“, also der mengenmäßige Hauptteil der Innovationen, wird vor allem in Privaträumen gepflegt. Wichtigste Nachlässe enden am Straßenrand. Manche Schlagzeilen hiesiger Kulturentwicklung findet man nur noch im „Spiegel“- oder „Zeit“-Archiv. Und es geht immer weiter: „Das Karussell“, die Bergische Zeitschrift für Literatur, wird öfter in Wien gelesen als in Elberfeld. „Die beste Zeit“, das opulente vierteljährliche Kulturmagazin, hat gerade mal ein paar Dutzend bekennende Wuppertaler Abonnenten. Der Januar ist vorbei; er hat nicht für alle Stapelpflichten gereicht. Der Rest bleibt liegen bis zum nächsten Jahr… bis eines Tages der Container schmatzt.