Wuppertaler Kultur Premiere für „Das Armenische Totenlied“

Lesung des bislang unveröffentlichten Textes von Armin T. Wegner.

Bernd Kuschmann las aus Wegners Werk.

Foto: Fries, Stefan (fri)

„Gesang zielt darauf, gehört oder erhört zu werden.“ Mit diesen Worten leitete Ulrich Klan ein Programm in der Elberfelder Sophienkirche ein, der gewissermaßen ein doppelter Ur-Abend war: Die bislang unveröffentlichte „Totenklage“ von Armin T. Wegner wurde in einer Urlesung präsentiert, erweitert durch eigens dafür komponierte Musik.

„Aghet: Totenklage und Gedächtnis des Schreckens“ lautet der komplette Titel des demnächst erscheinenden Buches mit der Erstpublikation, aus dem Mitautor Klan seine eigenen Worte zitiert hatte. Und erhört zu werden, war ein Ziel des engagierten Elberfelder Dichters Wegner, der auch als expressionistischer Dichter in die Literaturgeschichte einging: Als Sanitätssoldat im Ersten Weltkrieg hatte er die tödliche Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich miterlebt und sich mit Bildvorträgen bemüht, sie publik zu machen. Heute nun eine andere Umsetzung: Offenbar dauerte es ein halbes Menschenleben, bis der Autor die Form des „Totenliedes“ fand. Das Werk blieb unvollendet, was Moderatorin Arlin Cakal-Rasch auch als Grund dafür nannte, warum es bislang nicht veröffentlicht war.

Die Urlesung bestritt Bernd Kuschmann, langjährige Größe des Wuppertaler Schauspiels. Seine gewaltige Präsenz gab dem neu entdeckten Epos die gebührende Wirkung. Hinzu trat die Komposition von Volker Felgenhauer, dessen „Armenische Totenlieder“ heute das „Trio Cascades“ zu Gehör brachte. Die Musik schien dabei kein Pendant der depressiven Art, sondern zeigte sich gewissermaßen selbst erzählerisch: Am Ende sollte das fünfsätzige Werk zwar langsam und gewichtig ausklingen. Doch frühere Sätze variierten das Temperament deutlich: Alexander Mrowka am Cello baute Tempo auf, Katrina Schulz an der Geige stimmte ein, und mit Thomas Palm am Klavier schien solch eine schnelle Passage fast Flucht und Bewegung musikalisch zu gestalten.

Wegner nun hatte im Grunde Szenen geschrieben, die schlaglichtartig die Gräuel beleuchteten. Drastische Beschreibungen gab Kuschmann ohne weitere Forcierung im Vortrag - etwa im sogenannten Altarbild „Das Blutgericht“: „Kaum ein Schluck war zu hören, während ihr teures Blut sich in die Erde ergoss.“ Emphatisch, fast schrill dagegen der Tonfall im achten Bild, wo das Schicksal einer Gruppe „Jungfrauen“ geschildert ist, die ihrer „Entehrung“ durch gemeinsamen Freitod entgehen: „Trunken sind wir vom Tode.“

Archaische Wucht ist wohl der Gestus, den Wegner zur Gestaltung gefunden hatte. Nicht zuletzt wohl, um das Erlebte selbst zu verarbeiten: Dessen Sohn, berichtete Klan mit Blick auf den in der Sophienkirche anwesenden Michele Wegner, habe ihm erzählt, wie die Erinnerungen den Schriftsteller noch nach Jahrzehnten gequält hätten. Dem gab die gesamte Urpräsentation stark und einprägsam Ausdruck.