Regisseure wollen große Stoffe
Der neue Spielplan steht unter keinem speziellen Motto – aus gutem Grund, wie die beiden Intendanten betonen.
Wuppertal. Herr von Treskow, Herr Weigand, im September beginnt Ihre zweite Spielzeit, in der Sie als Intendanten die Richtung vorgeben. Weshalb stehen diesmal mehr Klassiker auf dem Programm?
Christian von Treskow: Das ergibt sich aus dem, was wir möchten und was wir machen können. Die Regisseure, mit denen wir im Schauspiel-Bereich zusammenarbeiten, wollen sich an den großen Stoffen messen - und an dramatischer Literatur.
Johannes Weigand: Was sind schon Klassiker? Wir spielen eine "klassische" Türken-Oper des Wiener Klassikers Haydn, ein "klassisches" Märchen aus 1001 Nacht, eine "klassische" Operette der späten 20er Jahre und auch die türkische Klassik wird erklingen. Die vielleicht 20 Opern, die fast alle im Publikum kennen und lieben, machen keinen Spielplan.
Ist die Stückauswahl auch eine Folge der Kritik speziell von älteren Stamm-Zuschauern, die sich von der neuen Ästhetik zum Teil überfordert fühlten?
Von Treskow: Dass wir nun bei derStückauswahl scheinbar konservativer geworden sind, stellt keine Reaktion auf vereinzelte Kritik dar. Die zweite Spielzeit war bereits geplant, als die erste lief. Die klare Akzentverschiebung zu mehr Klassikern hat sich aus inhaltlicher Konsequenz ergeben. Als sich abzeichnete, dass wir Intendanten werden, haben wir Regisseure gesucht, die bestimmte Themenbereiche - angelegt auf drei Jahre - bearbeiten wollen. Die starken Veränderungen, die wir herbeigeführt haben, behalten wir also bei, denn die einzelnen Regie-Handschriften bleiben.
Wann und wie entscheiden Sie, welche Stücke das Wuppertaler Publikum zu sehen bekommt?
Von Treskow: Zwei Jahre im Voraus muss man eine Richtung haben. Ein Jahr vor Beginn der Spielzeit sollte man dann wissen, welche Stücke man präsentieren möchte.
Im Gegensatz zu anderen Theatern rufen Sie kein spezielles Spielzeit-Motto aus. Weshalb?
Von Treskow: Wir haben das bewusst vermieden. Ein Spielzeit-Motto greift entweder zu kurz oder ist zu allgemein. Oder es ist zu speziell und grenzt die Phantasie ein. Außerdem hat es einen zweifelhaften Beigeschmack: Man versucht, nichtssagende Spielpläne durch die Hintertür mit einem aktuellen Bezug zu versehen. Wir haben versucht, eine neue Methodik der Spielplangestaltung zu entwickeln: Wir bündeln Themen, von denen wir meinen, dass sie für Wuppertal relevant sind. Jeweils ein Regisseur bearbeitet ein Thema über drei Jahre.
Das sind Themen wie Ökologie, Ökonomie und Migration. Im Vergleich zu anderen Häusern gehen Sie damit neue Wege.
Von Treskow: Das stimmt. Normalerweise sucht man ein Motto, dann sucht man die Stücke, dann sucht man den Regisseur. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Theater rufen an und fragen Regisseure, ob sie Zeit und Lust auf ein bestimmtes Stück haben.
Von Treskow: Wenn man sagt, dass man im angefragten Zeitraum kann, aber keine Lust auf das angebotene Stück hat, gibt es viele, die dann einen anderen Regisseur nehmen. Es gibt aber auch Theater, die dann gemeinsam mit dem Regisseur nach einem alternativen Stück suchen. Doch im Wesentlichen steht der Spielplan, bevor die Regisseure feststehen. Wir wollen es anders machen. Wir suchen Themen, dann Regisseure und am Ende gemeinsam einen passenden Stoff. Wir entwickeln die Spielpläne zusammen mit den Regisseuren.
Weigand: Das ist in der Oper selten möglich. Aber auch bei uns gibt es mit Jakob Peters-Messer und Constanze Kreusch eine Kontinuität der Regie-Handschriften über die Spielzeiten.
Weigand: Wir sind sehr offen und gehen auf Vorschläge ein. Natürlich entscheidet der Chef-Dirigent mit, aber auch die Solisten und der Chor müssen hinter dem Spielplan stehen. "Der Drache vom Dönberg" zum Beispiel war ein Vorschlag von Christian Sturm.
Der Tenor hat sich die Oper gewünscht?
Weigand: Ja. Die Ritter-Parodie stammt aus England. Christian Sturm hat die Oper schon einmal dort aufgeführt. Nur so findet man dann auch solche Schätze. Es gibt viel zu entdecken, und ich denke, unser Publikum ist neugierig und wach für solche Entdeckungen.
Weigand: Durch das Kleine Schauspielhaus können wir die Stücke breiter streuen und mehr Vielfalt bieten. Der Zuschauer erwartet einen abwechslungsreichen Spielplan, und den findet er in Wuppertal.
Worauf freuen Sie sich in der neuen Spielzeit am meisten?
Weigand: Ich freue mich auf unsere Stücke im Kleinen Schauspielhaus, wo wir quasi "grabenfrei" und viel näher am Publikum spielen können als im Opernhaus. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung mit der türkischen Kultur in meinen beiden Aufführungen und auf das Haydn’sche Meisterwerk "Unverhofft in Kairo". Und auf Christians "Kirschgarten", bei dem sogar ein Sänger aus unserem Chor mitwirkt.
Von Treskow: Ich freue mich auf meine drei Inszenierungen: "Der Kirschgarten", "Steinsuppe" und "Die Dummheit". Und ich freue mich, dass wir zum ersten Mal eine große Frauenfigur der Weltliteratur auf der Bühne haben: "Lulu". Ich kenne und schätze die Ästhetik von Sybille Fabian. Ihre "Lulu" wird eine schräge, verrückte Sache. In der Oper freue ich mich auf die beiden neuen Stücke im Kleinen Schauspielhaus und auf die Eröffnung mit "La Bohème".
Die erste Spielzeit hatten Sie mit "Eine Billion Dollar" eingeläutet. Auch in den Monaten danach sorgten die Bühnen mit Roman-Bearbeitungen für Aufsehen. Warum spielen sie in der neuen Saison keine Rolle mehr?
Von Treskow: Durch die enge Zusammenarbeit mit den Regisseuren sind wir sehr offen, was den Spielplan angeht. In der ersten Saison hatte es sich so ergeben, dass wir viele Roman-Adaptionen im Programm hatten. Jetzt machen alle Theater Roman-Adaptionen. Wir in Wuppertal sind schon einen Schritt weiter. Hier geht es nicht um Moden, sondern um Inhalte.