„Sechs Tanzstunden“: Zwei verletzte Seelen tanzen

Premiere: Katrin Herchenröther inszeniert in der Börse für die Wuppertaler Bühnen.

Wuppertal. Lily Harrison braucht keine Tanzstunden - sie braucht einen Menschen. "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" hat sie gebucht, um ihrer Einsamkeit zu entfliehen. In der Börse zeigen die Wuppertaler Bühnen Richard Alfieris Zwei-Personen-Stück in Zusammenarbeit mit dem Münsteraner Wolfgang Borchert Theater.

Monika Hess-Zanger als reiche Lily und Frank Watzke als abgehalfterter Revue-Tänzer Michael Minetti sind die ideale Besetzung und zeigen große Schauspielkunst. In der temporeichen Inszenierung von Katrin Herchenröther kultivieren zwei verletzte Seelen zunächst die Mauern, die sie um sich herum aufgebaut haben. Es dauert einige Tanzstunden, bis sie bei Swing, Tango oder Walzer (Einstudierung: Kerstin Bruhn) den Mut haben, das Gerüst aus Lebenslügen abzubrechen.

Michael gibt sich aalglatt, aber auch mimosenhaft, hyperaktiv und voller Wut auf das Establishment und die Heterosexuellen. Denn Michael liebt Männer. Lily ist anfangs so hölzern wie der mächtige, aus Sperrholz gezimmerte Sessel, in den sie sich schützend verkriecht (Ausstattung: Jeremias Vondrlik). Als Frau des verstorbenen, engstirnigen Baptistenpredigers hat sie einiges nachzuholen. So arbeiten die beiden sich aneinander ab und ihr Seelenleben auf.

Pointenreich perlen die leichtfüßigen Dialoge, in denen es auch in Vulgärsprache zur Sache geht. Bis sie sich selbst als "verknöcherte alte Schachtel" sieht und er sich als "aggressiv-passive Tunte", dauert es weitere Tanzstunden mit weiterer Annäherung. Denn als Michael erzählt, wie er seine kranke Mutter pflegte, zeigt er seine weiche, anlehnungsbedürftige Seite. Und als sie gesteht, sie "lebe wie hinter einer Glasscheibe - sicher, aber isoliert" und ihr das Alleinsein schwer, aber der Kontakt mit Menschen noch schwerer falle, ist das Eis gebrochen: Michael führt die 68-jährige Lily ins Leben zurück, sie verkuppelt ihn erfolgreich mit dem Sohn der Nachbarin.

Michael bleibt ihr guter und verlässlicher Freund, auch als sie krank wird. Und der gemeinsam betrachtete Sonnenuntergang ist die Bonusstunde, die das Leben schenkt: "Alles wird kostbarer, je kürzer es wird." Das Premierenpublikum war begeistert.

Regie: 5 von 5 Punkten

Duo: 5 von 5 Punkten

Ausstattung: 4 von 5 Punkten