Sinfoniekonzert im Zeichen der Katastrophe in Japan
Toshiyuki Kamioka und seine Musiker leiden mit Opfern in der Heimat.
Wuppertal. Trotz aller Schreckensmeldungen aus Japan: Die Sinfoniker atmen auf. Familienmitglieder und Freunde der japanischen Orchestermusiker zählen nicht zu den Opfern der Erdbeben-Katastrophe.
Nachdem die Unglücks-Meldung während der Probe am Freitag wie ein Lauffeuer die Runde gemacht hatte, zitterten neben Chef-Dirigent Toshiyuki Kamioka auch japanische Musiker um ihre Familie und die Freunde in der Heimat. Inzwischen steht fest: „Die Familien sind alle wohlauf“, sagt Orchesterdirektor Heiner Louis. „Es geht allen gut.“ Physisch zumindest.
Die Verbindung zwischen dem Sinfonieorchester und dem Land der aufgehenden Sonne ist eine innige — nicht nur, weil einzelne Sinfoniker gebürtige Japaner sind und der größte Publikumsliebling, Toshiyuki Kamioka, aus Tokio stammt. Auch die übrigen Sinfoniker fühlen sich mit Kamiokas Heimat tief verbunden — spätestens seitdem die Wuppertaler bei ihren beiden Japan-Tourneen die asiatische Gastfreundlichkeit kennen und schätzen lernten. Erst im Oktober waren sie von ihrem jüngsten Triumphzug zurückgekehrt.
„Die Stimmung ist gedrückt“, erklärt Louis. Zumal die Kulturbotschafter vor rund fünf Monaten selbst in Fukushima waren. Denn die Stadt, die inzwischen die Welt in Atem hält, hat neben einem Atomkraftwerk auch einen großen Konzertsaal. „Schwimmbad“ nannten ihn die Wuppertaler — wegen der grünen Kacheln an den Wänden. Dass die Akustik entsprechend schwierig war, ist heute nur noch Nebensache. Was zählt, sind die Menschen, mit denen die Musiker mitfiebern.
Weil das Telefonnetz zusammengebrochen war, konnte Kamioka seine Mutter und seinen Bruder erst am späten Freitagabend erreichen. Beide leben in Tokio — genauso wie eine Tante von Heiner Louis. Als ihn das ersehnte Lebenszeichen erreichte, war er sichtlich erleichtert: „Außerdem wissen wir, dass es unseren Partnern bei unseren japanischen Agenturen und CD-Firmen gut geht.“ Per Internet halten die besorgten Wuppertaler Kontakt.
Auch Klaus Stiebeling vom Deutsch-Japanischen Freundeskreis Wuppertal ist in Gedanken in Asien. „Meine beiden Ex-Frauen leben in Tokio und haben das Beben hautnah mitbekommen.“ Eine der Frauen ist Lehrerin. Für sie und ihre Grundschüler wurde das oft Geprobte traurige Realität: „Sie üben regelmäßig, wie man sich im Notfall unter den Tischen versteckt“, berichtet Stiebeling.
Auch viele der 700 Stadthallen-Gäste nahmen gestern Anteil: Sie sprachen die Sinfoniker am Rande des Konzerts auf Japan an. Offiziell jedoch war die Naturkatastrophe kein Thema. Weshalb? „Wir haben überlegt, ob wir eine Gedenkminute einlegen oder das Sinfoniekonzert zum Gedenkkonzert erklären sollen“, sagt Louis. Davon habe man allerdings Abstand genommen. „Solange das ganze Ausmaß nicht abzusehen ist“, sei es verfrüht, findet Louis.
Erneut setzte hingegen eine japanische Zuhörerin ein Zeichen: Sie war nicht zum ersten Mal eigens eingeflogen, um den „Wuppertaler Klang“ live zu erleben. Am Samstag, wenige Stunden nach dem Beben, war sie aus Japan nach Wuppertal gereist, um ein anspruchsvolles Brahms-Programm zu hören, zum Dank asiatische Süßigkeiten zu verteilen und zu berichten, wie die Lage in Japan ist. „Sie erzählte, wie es ist, wenn das ganze Haus schwankt“, sagt Louis, der erleichtert war, dass das Programm zum gestrigen Tag passte. „Einen Strauss-Walzer hätten wir heute nicht gespielt.“ Stattdessen gab es, wie lange im Voraus geplant, „Vier letzte Lieder“ von Richard Strauss und die vierte Sinfonie von Johannes Brahms.