Sinfoniker meistern Mahlers Melodiefetzen
Bravo-Rufe für das städtische Orchester beim Heimspiel in der Stadthalle: Die Musiker spielten gestern Mahlers 9. Sinfonie.
Wuppertal. Das Publikum hört diszipliniert zu. Fast niemand hustet, niemand raschelt mit Bonbonpapier. Selbst lange Pianissimo-Stellen bleiben ungestört. Wer gekommen ist, um sich eineinhalb Stunden lang Mahler am Stück anzuhören, hat sich bewusst dafür entschieden. Deshalb sind durchaus einige Stadthallen-Plätze frei geblieben, obwohl Toshiyuki Kamioka selbst das Sinfonieorchester dirigiert.
Gustav Mahlers 9. Sinfonie ist sperrig. Nicht nur von der Länge her, sondern auch durch die zerklüfteten Melodiefetzen, die harschen Klänge und die extremen Lautstärken-Unterschiede.
Toshiyuki Kamioka versucht, dem kurz vor Mahlers Tod geschriebenen Stück trotzdem Melodiöses zu entlocken. Immer wieder erheben sich einzelne Bläser über den fahlen Orchesterklängen, die ihre oft sehr exponierten und schwierigen Passagen nicht nur tonschön und musikalisch, sondern auch mit guten Nerven blasen.
Die Streicher hingegen müssen sich oft zurückhalten, erzeugen mit wenig Vibrato und Intensität eisige Stimmung. Der Ländler — nach Mahler „täppisch und sehr derb“ zu spielen — bekommt bei Kamioka einen musikantischen Charakter.
Die manchmal brutalen und aggressiven Einwürfe wirken eher milde. Das ausgedehnte Schluss-Adagio nimmt Kamioka nach einem in Wohlklang schwelgenden Beginn sehr stark zurück.
Die Musik verliert sich fast im Unhörbaren, so dass selbst leise Geräusche von draußen in Konkurrenz zum Orchester treten. Hochkonzentriert halten die Musiker die Spannung.
Am Ende erwacht das Publikum aus der Erstarrung. Mit ausgiebigen Bravo-Rufen und stehenden Ovationen feiern die Zuschauer sieben Minuten lang das Orchester und seinen Chef-Dirigenten. Alle Solisten und Instrumentengruppen werden einzeln mit Beifall bedacht, allen voran Konzertmeister Nikolai Mintchev. Dankbar, aber auch sichtbar erschöpft nehmen die Musiker nach der gelungenen Aufführung den Applaus entgegen.
Und die Tonaufnahme, für die um Ruhe gebeten wurde, dürfte angesichts des leisen Publikums auch gut gelungen sein.