Theater zwischen Wahn und Wirklichkeit
Die Wuppertaler Bühnen bringen Kafkas Roman „Der Prozeß“ als Schauspiel im Remscheider Teo Otto Theater zur Premiere.
Wuppertal. "Der Prozeß" gilt als Franz Kafkas visionärstes Werk: Zu Beginn der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg, geschrieben, offenbart sich darin der Umgang totalitärer Systeme mit Recht und Gesetz.
Eines Morgens, Josef K. ist gerade erwacht, erscheinen wie aus dem Nichts zwei Männer an seinem Bett und erklären ihn für verhaftet. Fragen werden nicht beantwortet, Gründe nicht genannt. Einmal in Gang gesetzt, kann K. der Maschinerie des Prozesses nicht mehr entkommen. Er gerät in den Grenzbereich von Fremdkontrolle und Selbstdisziplinierung, von Wahn und Wirklichkeit.
Wie kann man das auf der Bühne zeigen - zumal es sich bei der Textvorlage nicht um ein dramatisches Stück, sondern um einen Roman handelt? Was kann man überhaupt zeigen - und wo bleibt man besser sprachlos? Das sind die zentralen Fragen, mit denen Regisseurin Sybille Fabian gemeinsam mit Herbert Neubecker (Bühne) gerungen hat. Gemeinsam haben sie das Rollenbuch entwickelt.
Am Freitag ist die Inszenierung zunächst in Remscheid zu sehen - eine Woche später wechselt sie nach Wuppertal.
"Wir mussten sehr langsam arbeiten", sagt Sybille Fabian bedächtig, "denn hinter jedem Wort befindet sich ein gewaltiger Hintergrund an Melancholie, Schmerz, Trauer, Leid, Unterdrückung und Gewalt." Schließlich habe sie sich entschieden, die Gewalt nicht auszuführen, sondern nur anzudeuten und in eine Traumsituation zu übersetzen.
Ein wichtiger Aspekt bei der Arbeit sei zudem Kafkas Judentum gewesen, ergänzt Neubecker. "Kafka, aus einer Familie assimilierter Juden stammend, hat sich seit 1911 damit auseinander gesetzt, hat sich auf die jüdische Tradition besonnen und nach seiner Identität gesucht. Die persönliche Qual ist im Text sehr präsent", erläutert er.
Sybille Fabian ist zudem davon überzeugt, dass Kafka schon eine Vision von den kommenden Geschehnissen unter der Nazi-Diktatur hatte - zumal es antisemitische Hetze in Prag schon um 1900 gegeben habe. Die historischen Anklänge der Kostüme (Michael Sieberock-Serafimowitsch) sollen diese Vision skizzieren.
Christian von Treskow, Schauspiel-Intendant der Wuppertaler Bühnen, ist sich sicher, mit der ursprünglich vom Ballett kommenden Sybille Fabian die ideale Regisseurin für diesen Stoff gefunden zu haben: "Sie ist prädestiniert dafür, weil sie Theaterarbeit über den Körper denkt und Gefühle im Körper auszudrücken versteht", lobt er und lässt keinen Zweifel daran, dass die Zuschauer trotz des schwierigen Hintergrundes des Stücks ein ästhetischer Hochgenuss erwartet.