Interview Till Brönner: „Dieses Blech, das sich ins Gesicht drückt“

Star-Trompeter Till Brönner steht für coolen Sound und spricht über Gymnastik für Lippen, Üben im Hotel und Brötzmann.

Foto: Andreas H. Bitesnich

Herr Brönner, Ihr aktuelles Album „The Good Life“ klingt sehr entspannt. Entspricht das Ihrem Lebensgefühl?

Till Brönner: Es gibt stressigere Zeiten als jetzt. Im Moment bin ich sehr entspannt. Bei meinem Lebenswandel ist diese Musik für mich wie Therapie: Damit kann ich mich besinnen und die Menschen, die das hören, vielleicht auch. Vor allem, wenn man die Musik nicht nebenher hört, sondern sich pur damit befasst. Da wird der Ohrensessel attraktiver denn je.

Wie ist denn Ihr Lebenswandel?

Brönner: Er ist durch Reisen geprägt. Das ist rein physisch einfach anstrengend. Ich mache Yoga und versuche auf die Zeichen zu achten, die mir mein Körper sendet. Die größte Herausforderung ist immer, Orte zu finden, an denen ich üben kann. In jedem Hotel teste ich die Möglichkeiten aus — da muss dann erst mal jemand an die Tür klopfen. Am Ende findet sich aber immer irgendein Raum.

Das Üben hört nie auf?

Brönner: Ich wünschte mir manchmal, dass es nicht nötig wäre, aber der Körper verlernt Dinge sofort. Bestimmte Übungen, die sich wahrlich nicht besonders musikalisch anhören, dienen nur dazu, dass immer alles parat ist. Wenn die Inspiration kommt, kann ich ihr entspannt nachgehen — das ist so, wie ein Maler seine Palette sauber hält. Dieses Technikprogramm ist für mich Übe-Hygiene: Wir fühlen uns geduscht ja auch immer ein bisschen besser.

Machen Sie für die Lippen eine spezielle Gymnastik?

Brönner: Man muss vor allem die Muskeln drumherum trainieren. Es gibt Techniken, die sind echte Kraftübungen, wie Gewichtheben für die Lippen. Damit man dieses Stück Blech, das man sich ins Gesicht drückt, wieder weggedrückt bekommt.

Gehen Sie ans Singen mit ebensolchem Perfektionismus heran wie ans Trompete spielen?

Brönner: Nein, da bin ich Realist. In meinem Leben gibt es nur ein unerklärliches Talent, das der liebe Gott mir gegeben hat. Deshalb überlege ich genau, was ich singe, und bereite mich darauf gut vor. Mir ist nur aufgefallen: Wenn ich eine Nummer im Konzert singe, hören die Menschen der Trompete danach besser zu.

Schonen Sie Ihre Stimme?

Brönner: Auf Tour achte ich schon sehr auf sie. Ich werde zum Neurotiker wie alle — mit Spray, Schal und Ingwertee.

Warum haben Sie Ihr aktuelles Album in Los Angeles aufgenommen?

Brönner: Mein Lebensgefühl ist ein amerikanisches. Die Musik, die ich spiele, ist dort erfunden worden. Deshalb musste ich den Musikern bei den Aufnahmen gar nicht viel erklären.

Sind es nicht abrupte Schnitte, wenn Sie zwischen Ihren Wohnsitzen in Berlin und Kalifornien wechseln?

Brönner: Für mich ist das ein wunderbarer Ausgleich. Ich versuche mittlerweile, meine Auftritte im deutschsprachigen Raum zeitlich zu konzentrieren. Wenn ich frei habe, zieht es mich oft nach Kalifornien.

Wie bringen Sie Ihre wöchentliche zweistündige Sendung bei Klassikradio in dem gedrängten Zeitplan noch unter?

Brönner: Die mache ich, wo ich gerade bin. Ich produziere sie selber im Hotel oder im Bus und verschicke sie per Mail. An guten Tagen schaffe ich das fast schon in Echtzeit. Die Titel suche ich wirklich alle selbst aus — das ist wie ein Abendessen, zu dem ich die Leute einlade.

Jazz galt lange als elitär und intellektuell. Glauben Sie, dass Sie daran etwas geändert haben?

Brönner: Von dieser Einschätzung habe ich auch schon gehört. . . Ich selber habe großen Spaß daran, Menschen an den ursprünglichen Jazz heranzuführen — Musik, die damit beschäftigt war, Dingen auf den Grund zu gehen und die alten Gesetze zu brechen. Das bis heute herrschende Vorurteil stammt noch aus den 60er und 70er Jahren — da wurde im Radio und im Fernsehen immer nur die Avantgarde ausgestellt. Deshalb denken die Leute heute noch, Jazz wäre, wenn einer mit Vollbart auf einem übergroßen Saxofon hupt.

Hmm, wie stehen Sie denn zu Freejazzern wie Peter Brötzmann?

Brönner: Vor ihm ziehe ich den Hut bis zum Boden. Er ist eine große Figur der Zeitgeschichte. Die Energie, die er verbreitet, hat mich total berührt und angefasst. Er stammt aber auch aus einer Zeit, als man musikalische Gesetze noch brechen konnte. Das hat er kompromisslos getan — toll. Ich habe leider die Bürde der späten Geburt: Wenn irgendwann erst einmal alle Gesetze gebrochen sind, ist es sinnlos, weiter in diese Kerbe zu schlagen.