„Jetzt stehe ich da als kleinst ausgezeichnete Dorffigur“

Bazon Brock bekommt am 30. Oktober den Von der Heydt-Preis. Vorher reden wir über das Leben, die Freude und den Tod.

Foto: Federico Gambarini/dpa

Wuppertal. Es ist natürlich ein Unding, Bazon Brock interviewen zu wollen. Denn bei allem, was man den emeritierten Ästhetik-Professor und Philosophie-Performer fragt, setzt sich eine nicht zu bändigende gelehrte Assoziationskette in Gang. Es ist vergnüglich und anregend, wie der 80-Jährige über Politiker schimpft („die haben alle keine Ahnung, nicht einer“) und fordert, dass endlich der Kapitalismus eingeführt wird: „Wir hatten ja noch nie eine echte Marktwirtschaft, wird doch alles subventioniert.“

Mit elegantem Schwung gleitet er von Hitlers Geburtstag zum Limbus, der katholischen Vorhölle, und von landschaftszerstörenden Windrädern zum zehnten Buch des Geschichtsschreibers Herodot. Aber ohne den Furor seines Sprechens klingen diese Passagen seltsam schal. Beschränken wir uns also auf die praktischen Fragen des Lebens.

Herr Brock, wie sehen Sie der Verleihung des Von der Heydt-Preises entgegen?

Bazon Brock: Es war immer so: Ich war der einzige Mann in Deutschland, der keinen Preis hatte, obwohl die Statistik sagt, dass ich 29,5 Mal einen Preis hätte bekommen müssen. Ich habe ja allein 3000 öffentliche Auftritte gemacht. Der Enzensberger hat dagegen haufenweise Preise entgegengenommen. Jetzt habe ich dieses singuläre Merkmal nicht mehr, sondern stehe da als kleinst ausgezeichnete Dorffigur.

Oh, haben Sie überlegt, den Preis abzulehnen?

Brock: Nein, das würde die Leute düpieren, die ihn mir zugesprochen haben. Die nehmen ja ernst, was ich gemacht habe, die haben in der Jury viel von mir gelesen. Da muss ich mich schon selbst als Provinzpreisträger düpieren.

Wissen Sie schon, was Sie sagen werden?

Brock: Ich habe ein Konzept gemacht. In den 80er Jahren habe ich schon eine Hymne auf Wuppertal geschrieben — da schaue ich noch mal rein.

Sie sind seit 2001 emeritiert, betreiben die Denkerei bzw. das Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen in Berlin und sind im übrigen ständig unterwegs. Wie kommt es, das Sie Wuppertal als Wohnort treu geblieben sind?

Brock: In Cronenberg habe ich seit 33 Jahren mein Basislager, da komme ich immer wieder hin. In Berlin könnte ich so ein großes Wohnareal gar nicht bezahlen. Da habe ich eine Souterrainwohnung in Nikolassee.

Berlin, Hannover, Wien und Hamburg — das ist nur Ihr Programm für die nächsten zehn Tage. Sind Sie immer so viel unterwegs?

Brock: Natürlich, ich muss Geld verdienen. Es gibt heute doch nur 600 Euro für einen Auftritt. Für die Denkerei in Berlin brauche ich aber schon 6000 Euro Miete - dafür muss ich also schon zehn Mal reisen. Insgesamt kostet die Denkerei 12 000 Euro im Monat. Mein ganzes Geld fließt da rein; ich habe ja kein Haus, keinen Hof, keinen Besitz.

Würden Ihre früheren Aktionen heute noch die Leute provozieren?

Brock: Wir haben nie provoziert, wir haben evoziert. Das heißt, man muss etwas hervorrrufen, dazu muss man etwas öffnen und aus dem Strom des Vergessens herausholen. Dieses Gerede von der „Querdenkerei“ ist völliger Quatsch, das haben uns die Journalisten angeklebt. Den Ausnahmezustand kann jeder Vollidiot herstellen. Aber souverän ist, wer den hundsnormalen Alltag garantiert. Das Normale ist die Sensation. Wir, die wir im Krieg waren, wissen, was das heißt.

Sie ärgern sich über vieles. Gibt es auch Dinge, die Sie schlicht amüsieren?

Brock: Spaß habe ich nie in meinem Leben gehabt, aber Freude — am Wind im Haar, dem Baden im Salzwasser, dem Gang über die polnischen Weiten, dem Stillsitzen und Lesen — und als Höhepunkt: Dass sich Menschen in einem Raum versammeln und mir zwei Stunden still zuhören.

Schauen Sie nur nach vorn, oder blicken Sie manchmal zurück auf Ihr Leben?

Brock: Das Leben ist tatsächlich ein Kreislauf des Lernens. Der fängt an mit learning by crying (weinen) als Baby; learning by lying (lügen), wenn man größer wird; learning by buying (kaufen) — mein Bruder und ich mussten von 1949 bis 1956 mit 50 Pfennig am Tag auskommen. Mit learning by trying (versuchen) geht es weiter - das war der Beginn des Studiums und mein erstes Buch 1957. Es folgt learning by sighing (seufzen) — man wird älter und kränker, dazu gehörte auch ein blühender Krebs vor wenigen Jahren. Es schließt mit learning by dying (sterben) — das versuche ich gerade.

Sie haben schon alles final geregelt?

Brock: Ja klar. Ich habe das Grab Nummer CH4/13 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Der stehende Luther wird auf mich zeigen; ich liege in einer Reihe mit Herrn und Frau Fichte sowie Herrn und Frau Hegel. Hat sich durch Zufall ergeben, ist aber gut so.